Feuernacht
aufgeräumt, und ich habe ihm immer geholfen, sein Zimmer sauber zu halten. Jetzt hätte ich am liebsten ein paar lebhafte kleine Jungs in der Wohnung, die alles durcheinanderbringen und mich an früher erinnern.« Sie betrachtete die Dinge ihres Sohnes in der Regalwand.
Vorsichtig nahm Matthias ein Fernglas in die Hand, das auf dem Nachttisch stand. »Das ist ja ein tolles Ding.« Er hielt sich das Fernglas vor die Augen.
»Das war ein Weihnachtsgeschenk von Jakobs Vater und mir. In dem Jahr, bevor mein Mann gestorben ist.«
Schnell stellte Matthias das Fernglas wieder weg und betrachtete die Poster an der Wand über dem gemachten Bett. Es waren unglaublich viele, und sie klebten teilweise sogar übereinander. Unter einem Poster von Manchester United lugte die Stoßstange eines Formel- 1 -Wagens hervor. »Was ist das denn?«, fragte Matthias und zeigte auf ein ziemlich ramponiertes Plakat von einer Figur vor einem weißen Hintergrund mit der Aufschrift:
Auch Engel haben schlechte Tage.
»Ist das ein Engel?« Sein Blick wanderte von Dóra zu Grímheiður.
»Lustig, dass du danach fragst.« Grímheiður lächelte. »Das ist seit fast zehn Jahren Jakobs Lieblingsposter. Er hat es in einem Sommerlager von der Kirche geschenkt bekommen, ein Versuchsprojekt, von dem ich eigentlich nicht weiß, wie es gelaufen ist, weil Jakob im nächsten Jahr schon zu alt war. Falls es überhaupt weitergelaufen ist.«
Dóra trat neben Matthias und musterte das Bild. Vielleicht erklärte das Poster Jakobs Hinweis auf den Engel. Unter starkem psychischem Druck dachte man manchmal an etwas Vertrautes. Wie der Text erkennen ließ, hatte der Engel schon bessere Tage erlebt, der goldene Heiligenschein war ihm in die Stirn gerutscht, und die kleine Harfe in seinen Armen hatte eine gerissene Saite. Ihm fehlte ein Schuh, und von einem seiner kleinen Flügel schwebte eine Feder auf den Boden. Dóra merkte, dass sich Grímheiður über ihr Interesse an dem Poster wunderte, und fragte das Erstbeste, was ihr einfiel: »Warum glaubst du, dass das Projekt nicht fortgesetzt wurde?«
»Ach, da ist einiges schiefgegangen. Jakob war zwar hellauf begeistert, und die Betreuer haben alles getan, um die Fahrt zu einem Erlebnis zu machen, aber einige Kinder haben sich dort … nun ja, nicht gut eingelebt.«
»Ach ja?« Dóra drehte sich von der Wand weg.
»Ja, es sind allerhand Dinge passiert, die die Betreuer bestimmt nicht noch mal erleben wollen.« Grímheiður schüttelte mit traurigem Gesicht den Kopf. »Die Gruppe war nicht besonders gut zusammengestellt, so ähnlich wie in diesem Heim.« Sie ging zwei Schritte zu Jakobs Schreibtisch, nahm einen blauen Hefter in die Hand und blies den unsichtbaren Staub weg. »Ein Mädchen wäre beim Sturz in einen Fluss fast ertrunken, ein Junge hat giftige Pilze gegessen und ein anderer hat versucht, seinen Schlafsack anzuzünden, so dass fast ein Unglück geschehen wäre.« Grímheiður stellte den Hefter wieder genau an dieselbe Stelle auf den Tisch. »Dieser Junge wollte überhaupt nicht ins Camp, und man fragt sich, wer auf die Idee gekommen ist, dass er sich dort wohl fühlen könnte. Der Arme war stark autistisch und ist mit neuen Umgebungen nicht zurechtgekommen.« Mit leiser Stimme fügte sie hinzu: »Er ist auch gestorben, als das Heim abgebrannt ist. Tryggvi.«
»Tryggvi Einvarðsson?«, fragte Dóra beiläufig. Es war zwar ein Unterschied, ob man seinen Schlafanzug anzündete oder ein Haus mit Benzin in Brand steckte, aber das konnte ein Hinweis sein.
»Ja, genau der.« Grímheiður schaltete plötzlich das Licht an. »Glaubst du etwa, dass er den Brand gelegt hat?« Sie schüttelte eifrig den Kopf. »Das ist ausgeschlossen, er kann es genauso wenig gewesen sein wie Jakob. Tryggvi hat sein Zimmer nur verlassen, wenn er musste. Er wäre nie auf eigene Faust durchs Haus gelaufen.«
»Nein, nein, natürlich nicht«, beeilte sich Dóra zu sagen. Tryggvis Fortschritte waren offenbar nicht allen bekannt gewesen. »Und das war also ein Sommercamp von der Kirche?« Es konnte nicht schaden, nähere Informationen über den Zwischenfall mit dem Schlafsack zu bekommen.
Aus dem kleinen Radio auf dem Tisch drang die Stimme eines wütenden Moderators, der sich darüber beklagte, dass sein Programmnachfolger noch nicht erschienen war.
23 . KAPITEL
SONNTAG ,
17 . JANUAR 2010
Lena lag auf dem weichen Sofa, aber da sie einen dicken Schmöker im Arm hatte, war es trotzdem nicht sonderlich bequem, und sie legte
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