Feuernacht
Mann einzusperren, oder?« Wie konnte ihre Mutter, die sich für so gutherzig hielt, so etwas dulden? Lena fühlte sich schon bei dem Gedanken elend.
»Ach, nimm das doch nicht so persönlich.« Ihre Mutter ging zum Fenster und schob die Jalousie beiseite. »Er ist nicht draußen. Und der Wagen steht in der Einfahrt, er kann also nicht weit sein.«
»Vielleicht ist er joggen, Mama. Wenn du dir solche Sorgen um ihn machst, könntest du ja mehr Zeit mit ihm verbringen und weniger telefonieren.«
»Jetzt hör aber mal auf.« Ihre Mutter ließ die Jalousie los und versuchte nicht mehr, ihre Gereiztheit zu verbergen. »Wo warst du eigentlich gestern Abend?«
»Unterwegs mit den anderen«, sagte Lena patzig. »Das wusstest du doch!«
Ihre Mutter fasste sich ans Ohr und knetete es eifrig. »Ja, stimmt ja.« Sie ließ sich auf den Stuhl gegenüber von Lena fallen. »Ich bin irgendwie so durcheinander. Dein Vater verhält sich zurzeit so merkwürdig, und ich weiß nicht, ob das mit seiner Arbeit oder mit der Wiederaufnahme des Falls zu tun hat.« Sie warf einen gespielt interessierten Blick auf das Buch zwischen ihnen. »Gestern Abend, als du weg warst, ist er noch mal ins Büro gefahren. Er hat jahrelang nicht mehr abends gearbeitet und dann auch noch am Wochenende.«
»Er hat furchtbar viel zu tun, das weißt du doch.«
»Ja, ja, aber ich mache mir trotzdem Sorgen. Er ist jetzt in dem Alter, wo das Herz nicht mehr so mitspielt, und sollte sich lieber ein bisschen schonen, auch wenn er viel zu tun hat.«
»Wenn er hier zu Hause ein Arbeitszimmer hätte, bräuchte er nicht abends oder am Wochenende ins Büro zu fahren.« Lena sprach ganz langsam und vorsichtig, denn sie wusste, dass das ein sensibles Thema war. Das Haus war zwar groß, aber es gab nur einen freien Raum – Tryggvis altes Zimmer. Darin war alles unberührt, so als rechne man immer noch damit, dass er am Wochenende nach Hause käme, so wie es geplant war, als er ins Heim zog. Nach Tryggvis Tod war das Zimmer verschlossen geblieben, und Lena und ihr Vater gingen nie hinein. Lena wusste nicht, wie oft ihre Mutter es betrat, hatte sie aber zweimal bei offener Tür überrascht, als sie weinend auf der Bettkante saß. Beide Male war Lena ungesehen davongeschlichen. Sie kannte die Neigung ihrer Mutter, alle möglichen Dinge zu dramatisieren, schlug ihrem Vater aber bald vor, Tryggvis Zimmer leerzuräumen und daraus sein langersehntes Arbeitszimmer zu machen. Gemeinsam versuchten sie behutsam, den Plan umzusetzen, aber Lenas Mutter schob die Entscheidung immer wieder geschickt auf.
»Ja, wir müssen das irgendwann entscheiden.« Also die Sache auf die lange Bank schieben.
»Und warum entscheiden wir es nicht einfach jetzt? In der nächsten Zeit ändert sich ja nichts, und ich weiß, dass Papa sehr froh wäre.«
»Ja, ich rede heute Abend mit ihm darüber.« Wieder Ausflüchte.
Lena setzte sich auf. »Wie wär’s, wenn wir uns das Zimmer jetzt mal anschauen? Einfach aussortieren, was du von Tryggvis Sachen behalten willst, und das Ganze organisieren? Das heißt ja nicht, dass wir heute Abend schon Kisten packen müssen.«
Ihre Mutter klappte den Mund auf und zu. Ihre dünnen, beringten Finger hörten auf, das Ohr zu kneten. »Ach, ich bin jetzt nicht in der richtigen Stimmung dafür, Lena. Versteh doch, dass ich einfach noch nicht darüber hinweg bin.«
»Vielleicht, weil du dich nie richtig damit konfrontiert hast. Ich denke, das würde dir guttun. Es gibt so viele Leute, die die Sachen gut gebrauchen könnten.« Lena wollte aufstehen. »Komm, Papa wird froh sein, wenn wir das in Angriff nehmen, und du machst dir ja wirklich Sorgen wegen eines Herzinfarkts. Du siehst doch, dass sich sein Zustand so nicht verbessert.« Sie sprang auf die Füße. »Na komm, es dauert maximal eine Viertelstunde!«
»Wir packen nichts ein und gucken erst mal?« Lena nickte, und ihre Mutter seufzte. »Ich habe eigentlich gar keine Zeit dafür, ich muss noch einkaufen gehen.« Es war schwierig, auch nur einen einzigen Kakao in den vollgestopften Kühlschrank zu quetschen, aber Lena sagte nichts. Es war schon ein großer Erfolg, ihre Mutter überhaupt dazu zu bringen, über die Sache nachzudenken.
In Tryggvis Zimmer war es stickig, viel wärmer als im übrigen Haus, und es roch anders, wie wenn man in ein fremdes Haus kommt. »Soll ich das Fenster mal aufmachen?« Lena wartete die Antwort nicht ab, aber die frische Luft drang nur langsam ins Zimmer, denn draußen war es
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