Feuernacht
geantwortet hatte. Stattdessen starrte er das Display an, bis das Klingeln aufhörte und folgender Text erschien:
7 verpasste anrufe
. Wahrscheinlich hatte irgendein Betrunkener in der Nacht sein Handy verloren und schlief noch seinen Rausch aus. Der Jogger wandte sich wieder dem Meer zu – das Handy konnte warten, er würde es mit nach Hause nehmen und dieser Mutter Bescheid sagen, wo sie es abholen konnte. Er beschloss nachzusehen, ob zufällig irgendwo die Brieftasche des Säufers lag, damit er sie zusammen mit dem Handy zurückgeben konnte.
In dem Moment sah er an der Stelle, wo der Hang steil zum Strand hin abfiel, Beine im versengten Gras. Er musste erst genauer hinschauen, bevor ihm klar wurde, worum es sich handelte. Erst dachte er, es seien seltsam geformte Steine, aber dann sah er die schwarzen Schuhe und verkohlte Beine. Seine Müdigkeit war wie weggeblasen. Mit steifen Beinen stand er auf und ging auf den Hang zu. Er hatte Angst davor, den ganzen Körper zu sehen. Hoffentlich war es nur der betrunkene Besitzer des Handys, der gestern Abend zu viel und zu lange gefeiert hatte, aber die völlig reglosen Beine und der ungewöhnliche Ort ließen auf etwas anderes schließen. Der Geruch des verbrannten Grases wurde stärker, als er sich dem Mann näherte. Merkwürdig, sich genau an die Stelle zu legen, an der das Gras versengt war und der Brandgeruch alles andere überdeckte. Kurz bevor der Körper ganz in sein Blickfeld kam, wurde ihm klar, dass sich niemand einen solchen Ruheplatz oder eine solche Stellung aussuchen würde, weder halbtot noch lebendig.
Als der Jogger losrannte, um Hilfe zu holen, hatte er das Handy in seiner Hand vollkommen vergessen und war nicht mehr atemlos oder müde. Jetzt war ihm nur noch schlecht.
»Ich wollte nur, dass du das weißt.« Dóra nahm die Hand der alten Dame und spürte, wie ihr rauer, kalter Handrücken bei der Berührung zuckte. Dóra hatte Grímheiður nach ihrem Besuch im Krankenhaus angerufen, um ihr zu sagen, was sie über den Grund von Jósteinns Angriff dachte. Daraufhin hatte sich Jakobs Mutter so aufgeregt, dass Dóra ihr anbot, auf dem Weg nach Hause bei ihr vorbeizuschauen. Jetzt saßen Matthias und sie in der beengten Küche, die Jakob so sehr vermisste. Die Wohnung war klein, aber behaglich und erinnerte Dóra an die Wohnung ihrer Großeltern. Dort hatte auch überall Nippes gestanden, der nicht viel gekostet hatte, aber für seine Besitzer trotzdem von unschätzbarem Wert war. Gerahmte Fotos nahmen die besten Plätze ein, die meisten zeigten Jakob in unterschiedlichem Alter, ein paar auch seinen verstorbenen Vater. »Ich kann gut verstehen, wenn du erst mal darüber nachdenken willst oder sogar möchtest, dass ich den Auftrag abbreche.«
»Was nimmst du pro Stunde?« Grímheiður biss sich auf die dünne Oberlippe, die fast dieselbe Farbe hatte wie ihr Gesicht. Dabei strömte Blut hinein, und als sie die Lippe losließ, wurde sie ganz rot, so als hätte sie Lippenstift aufgelegt und dabei die Unterlippe vergessen. Dóra nannte ihren niedrigsten Stundenlohn, den sie auch engen Freunden anbot. Grímheiðurs Gesicht ließ erkennen, dass der Betrag höher war, als sie vermutet hatte. »Gibt es da keine Prozente?«
Dóra saß in der Klemme. Die Frau konnte sich einen neuen Prozess überhaupt nicht leisten, es sei denn, die Kanzlei würde überhaupt nichts berechnen. »Der Stundenlohn sagt ja noch gar nicht so viel aus. Es kommt auf die Anzahl der Stunden an, und solche Aufträge neigen dazu, viele Stunden zu fressen. Wenn alles gut läuft, wird ein Großteil wieder zurückerstattet, andererseits wissen wir ja noch gar nicht, ob es zu einer Wiederaufnahme kommt, und dann ist es nicht sicher, ob das Gericht wirklich alle Kosten übernimmt.«
»Aber …« Grímheiður starrte mit offenem Mund vor sich hin. Die Röte in ihrer Oberlippe war wieder verschwunden.
»Wenn ich recht habe und Jósteinn immer noch daran gelegen ist, dass Jakobs Fall wiederaufgerollt wird, hält er wahrscheinlich sein Wort und übernimmt die Kosten. Falls dir das nach diesem Vorfall nicht mehr recht ist, werde ich natürlich nicht weiter für ihn arbeiten. In dem Fall könnten wir es darauf ankommen lassen, dass der Prozess gut läuft und die Kosten aus der Staatskasse getragen werden.« Dóra hatte Mitleid mit Jakobs Mutter. Sie musste sich zwischen zwei schlechten Alternativen entscheiden.
»Was würdest du denn tun?«, fragte Grímheiður Matthias. Sie war altmodisch, und
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