Feuernacht
Singles in seinem Alter gingen am Wochenende wahrscheinlich später ins Bett, aber darüber wollte er lieber nicht nachdenken. Dieser Winter war ganz anders als die vorherigen, und er hatte überhaupt keine Lust mehr auszugehen. Mittlerweile fand er alkoholisierte Fröhlichkeit inhaltslos und oberflächlich; man grinste und war gut gelaunt, obwohl man sich gar nicht so fühlte. Natürlich hatte seine miese Stimmung mit seinem Job zu tun: Ständig hatte er enttäuschte Mitbürger in der Leitung; während seine Kollegen fröhliche Songs auflegen konnten, musste er sich das Jammern anhören. Margeir hatte einfach keine Lust mehr, sich zu amüsieren. Es war eine große Erleichterung, als er seinen Kumpels das erste Mal abgesagt hatte, und danach wurde es immer leichter, einfach zu Hause zu bleiben. Inzwischen riefen sie ihn schon lange nicht mehr an.
Plötzlich ging der Wecker auf dem Nachttisch an, und Margeir starrte auf das Gerät, aus dem seine eigene Stimme kam. Eine Wiederholung seiner gestrigen Sendung. Einen Moment lang dachte Margeir, er hätte das Radio nur durch seine Gedanken eingeschaltet, aber dann wurde ihm klar, dass es der Wecker war. Es war zwar irgendwie albern, aber auch wenn sich seine Situation nicht besserte und er tagsüber nicht arbeiten konnte, wollte er nicht bis in die Puppen schlafen. Deshalb stellte er jeden Tag den Wecker und versuchte, sich irgendwie zu beschäftigen. Unter der Woche um acht und am Wochenende um halb zehn.
Sein Kopf wurde etwas leichter, und der pochende Schmerz in seinen Schläfen ließ nach. Margeir stützte sich auf den Ellbogen und setzte sich auf. Er musste unbedingt das Fenster aufmachen und ging schnurstracks die zwei Schritte zum Fenster. Der Riegel war widerspenstig, aber am Ende bekam er ihn auf und saugte die klare, eiskalte Luft ein.
»Wer ist da?« Seine eigene Stimme drang blechern und leblos aus dem Monoradiogerät hinter ihm. »Du brauchst nicht anzurufen, wenn du nichts sagen willst.«
Margeir spürte, wie die Kälte an seinem Körper hochkroch.
»Warte mal, warte.« Er selbst klang aus diesem Gerät ja schon leblos, aber die Stimme seines Gesprächspartners wirkte völlig tot. Als er sie jetzt hörte, war er sich auf einmal sicher, dass sie verändert worden war, wahrscheinlich mit einem schlechten Programm, das man im Internet runterladen konnte. Sie hatte einen mechanischen Klang, der bei dem kleinen Radiogerät noch auffälliger war als gestern Abend am Telefon im Sender. Seine eigene Stimme übernahm wieder, und er konnte hören, wie aufgewühlt er gewesen war, was die Hörer aber wahrscheinlich kaum merkten. Hoffentlich nicht. Er klang überheblich und gleichgültig: »Worauf denn? Dass du endlich zum Thema kommst? Was willst du eigentlich, mein Freund?«
»Rache.«
»Wie Rache?« Jetzt war der aufgesetzte, coole Tonfall aus Margeirs Stimme verschwunden. Er hatte gemerkt, dass es sich um denselben merkwürdigen Typen handelte, der in fast jeder Sendung anrief. Wenn das so weiterging, konnte man es schon als Belästigung bezeichnen, aber Margeir war sich nicht sicher, ob die Polizei das auch so sah – wobei er die ohnehin nie einschalten würde. Nicht, wenn diese Telefonbelästigung auf das hinauslief, was Margeir vermutete.
»Das weißt du genau. Am Ende wird die Gerechtigkeit siegen.« Vernehmliches Einatmen und langgezogenes Ausatmen. »Und du kommst nicht ungeschoren davon.« Dann wurde der Hörer aufgeknallt, und ein durchdringender, anhaltender Ton setzte ein, bis der Techniker merkte, dass Margeir nichts Schlaues mehr hinzufügen würde, und einen Song auflegte.
Die Kopfschmerzen wurden wieder schlimmer, und Margeir setzte sich vorsichtig auf die Bettkante. Langsam ließ er sich aufs Kissen sinken und schaltete das Radio aus, obwohl er es lieber vom Tisch gefegt hätte. Er sah sein Handy neben dem Gerät liegen und griff danach, denn er erinnerte sich dunkel daran, dass es ihn in der Nacht geweckt hatte. Als er an dem Handy herumhantierte, um verpasste Anrufe zu checken, fiel ihm plötzlich wieder ein, dass er eine SMS bekommen hatte, von
ja.is
. Sie hatte ihn aus dem Schlaf gerissen und ihm so viel Angst eingejagt, dass er aufgestanden war und das Fenster zugemacht hatte. Seine Finger glitten wie ferngesteuert über die Tastatur und riefen die Nachricht wieder auf, obwohl er es gar nicht wollte.
die rache ist nah. vielleicht steht schon jemand vorm fenster?
11 . KAPITEL
MONTAG ,
11 . JANUAR 2010
Montags morgens war es in der
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