Feuernacht
Þráinsson war befördert worden. Für Glódís musste es hart gewesen sein, den Karrieresprung ihres ehemaligen Mitarbeiters miterleben zu müssen. Dóra hatte den Eindruck, dass Glódís trotz ihrer Klagen über viel Arbeit und Stress einen ziemlich entspannten Job hatte, zumindest hatte das Telefon während ihres Besuch kein einziges Mal geklingelt, während die Telefone in den anderen Büros kaum stillgestanden hatten. Durch Lísas Schwangerschaft und das nicht funktionierende Brandschutzsystem musste das Unglück ein berufliches Desaster für Glódís gewesen sein. Für den Brand selbst würde man sie nicht verantwortlich machen, aber sie hatte eindeutig ihre Pflichten vernachlässigt.
Etwa die Hälfte der Leute auf der Liste war noch beim Regionalbüro angestellt, aber nur bei diesem Elías stand, wofür er zuständig war. Vielleicht sollte sich Dóra weniger auf den mysteriösen Absender der SMS konzentrieren als darauf, was die ehemaligen Mitarbeiter über die Heimleitung zu sagen hatten. Diejenigen, die aufgehört hatten, waren bestimmt auskunftsfreudiger als die, die noch beim selben Arbeitgeber waren. Aber wie sollte Dóra diese Leute, die fast alle ziemlich gängige Namen hatten, ausfindig machen? Ihr fiel nichts Besseres ein, als ins digitale Telefonverzeichnis im Internet zu gehen. Dort konnte sie einen Großteil der Namen aufgrund der Berufsbezeichnungen ausschließen. Als nur noch ein Name übrig war, trat Matthias hinter sie und strich ihr übers Haar. Er roch nach Rasierwasser. Dóra nahm seine Hand und legte sie an ihre Wange. Als sie sich gerade zu ihm umdrehte, sah sie ihre Mutter in einem Bademantel, den sie noch aus ihrer Kindheit kannte, in der Tür auftauchen. Der Gürtel, der fest um ihre Taille geknotet war, sah schon ziemlich mitgenommen aus. An einigen Stellen bestand der Frotteestoff des Bademantels nur noch aus einzelnen Fäden, und das feuerrote, bodenlange Samtnachthemd ihrer Mutter schien hindurch. Der betörende Einfluss von Matthias’ Rasierwasser verschwand im Handumdrehen. »Wie sieht’s aus? Soll ich uns einen Kaffee kochen?« Dóras Mutter lächelte ihnen zu und marschierte dann voller Tatendrang in die Küche, ohne eine Antwort abzuwarten. Kurz darauf hörte man sie eine vertraute Melodie summen. In der Garage pfiff Dóras Vater dieselbe Melodie.
Das würde eine interessante Wohngemeinschaft werden – vielleicht sollte Dóra wirklich einen Termin für das berühmte brasilianische Waxing ausmachen.
Margeir wachte völlig erschlagen auf und dachte zuerst, er hätte einen Kater. Während er versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen, schwante ihm, dass er zu viel von etwas Ekelhaftem getrunken haben musste, eine ganze Flasche süßen Weißwein oder sogar zwei. Doch dann wurde ihm langsam klar, dass er keinen Tropfen angerührt hatte. Die Kopfschmerzen rührten von etwas anderem her. Vorsichtig öffnete er die Augen, ließ den Kopf aber noch auf dem Kissen liegen. So blieb er eine Weile liegen und starrte das fest verschlossene Schlafzimmerfenster an. Die Luft war stickig und schwer, und jeder Atemzug brannte in der Nase, so dass er durch den Mund atmen musste. Er versuchte, die Vorstellung zu verdrängen, dass eine gräuliche Giftwolke über seine Zähne und seine Zunge langsam durch seinen Gaumen in seine Lungen strömte. Ihm wurde übel, aber er war zu schwach, um aufzustehen und das Fenster zu öffnen. Warum war es eigentlich geschlossen? Margeir schlief immer bei offenem Fenster, egal bei welchem Wetter. Am liebsten hätte er nachts die Wand eingerissen, damit die klare, kühle Luft hereinkonnte. Er musste vergessen haben, das Fenster zu öffnen, oder es nachts zugemacht haben.
Margeir reckte sich nach dem Wecker und drehte ihn zu sich. Es war der Radiowecker, den er von seinem Bruder zu Weihnachten bekommen hatte. Da Margeir bei einem Radiosender arbeitete, fand sein Bruder das Geschenk wohl besonders originell. Es war kurz vor halb zehn, womit er ungefähr gerechnet hatte. Die Übelkeit war so stark, dass er nicht genau festmachen konnte, ob er noch müde war. Allmählich wurde sein Kopf etwas klarer, und er konnte sich endlich wieder erinnern, wann er ins Bett gegangen und was passiert war. Alkohol hatte dabei überhaupt keine Rolle gespielt. Er hatte sich im Kiosk an der Ecke einen Film geliehen, ihn angeschaut und danach noch zwei Stunden sinnlos vor dem Fernseher gehangen. Um kurz vor drei war er ins Bett gegangen, für ihn eine normale Uhrzeit. Die meisten
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