Feuernacht
Straße eindrucksvolle Schatten auf die Stelle werfen würden, an der das Ministerium stand. Vielleicht kam der Name aber auch daher, dass die Straße dazu verdammt war, im ständigen Schatten des Nationaltheaters zu liegen. Sobald sie das Ministerium betreten hatten, wurde es heller, aber es herrschte immer noch eine bedrückende Atmosphäre. Man hatte das Gefühl, eine Zeitreise zu machen, denn das Gebäude trug starke Züge der Architektur aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. Dieses Gefühl verschwand jedoch, als sie in einen Büroflur geführt wurden, der aussah wie irgendein Flur in irgendeinem modernen Gebäude. Sie gingen an einer langen Reihe von Büros vorbei, die alle gleich aussahen: ein Schreibtisch mit Computer und klobigem Telefon, die Wände mit vollgestopften Aktenregalen bedeckt. Sie rechneten damit, dass das Büro, das sie suchten, genauso aussah, aber es war viel größer und luxuriöser.
»Kommt bitte rein.« Einvarður Tryggvason erhob sich von seinem imposanten Schreibtischstuhl und kam auf sie zu. Seine Stimme war sanft und tief, sein Handschlag fest und seine Hände weich. Das ganze Auftreten des Mannes war makellos, sein teurer, dunkler Anzug schimmerte, und er schien gerade erst einen Haarschnitt und eine Rasur beim Friseur hinter sich zu haben. Wenn er lächelte, leuchteten seine weißen Zähne, die zwar nicht ganz gerade waren, ihm aber eine gewisse Ausstrahlung verliehen. Gerade diese Unvollkommenheit machte ihn perfekt. Dóra schoss der Gedanke durch den Kopf, dass so ein Mann sich gut in der Politik machen würde, und fragte sich, warum er diesen Behördenjob dem Parlament und einer möglichen Ministerkarriere vorgezogen hatte. »Ich war sehr froh zu hören, dass ihr hier seid. Ich hab’ nämlich schon gehört, dass Jakobs Fall wiederaufgerollt werden soll, dein Name wurde dabei auch genannt.« Er lächelte Matthias höflich an. »Von dir habe ich allerdings nichts gehört.«
Dóra stellte Matthias vor und sagte, er assistiere ihr und sei genauso diskret wie sie. Allerdings ginge diese Diskretion nur so weit, bis etwas ans Licht käme, das Jakobs Unschuld untermauere, was dann natürlich in ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Falls eingehen würde. Der Mann verzog keine Miene und entgegnete, das sei doch selbstverständlich, alle wollten ja, dass der Fall gänzlich aufgeklärt und die richtige Person zur Verantwortung gezogen würde. Dabei verdunkelte sich sein ebenmäßiges Gesicht, und Dóra merkte, dass sich hinter der steifen Höflichkeit doch ein Mensch verbarg, der auch Gefühle wie Wut, Freude oder Trauer empfand. »Bitte nehmt Platz, ich beantworte gerne eure Fragen, sofern sie sich in den Grenzen des allgemein Üblichen bewegen.« Er bekräftigte seine Worte mit einem weiteren Zahnpastalächeln, das jedoch nicht bis zu den Augen reichte. »Ich habe Kaffee bestellt, aber wenn ihr lieber Tee wollt, ist das kein Problem.«
Weder Dóra noch Matthias wollten an einem Montagmorgen Tee trinken. Einvarður achtete darauf, sich nicht auf sein Jackett zu setzen, und rückte seinen Krawattenknoten zurecht. »Bevor wir anfangen, möchte ich dich etwas fragen, was sehr wichtig für mich ist. Hältst du es wirklich für möglich, dass Jakob unschuldig verurteilt wurde?« Einvarður musterte Dóra eindringlich, so als verberge sich ein Lügendetektor in seinen dunkelblauen Augen.
»Ja, das tue ich.« Dóra musste gar nichts vortäuschen, denn je länger sie über die Sache nachdachte, desto unwahrscheinlicher fand sie es, dass der unbedarfte Jakob der Täter gewesen war. »Ich habe starke Zweifel an seinen Aussagen vor Gericht und halte ihn für unfähig, eine so komplizierte Tat zu planen und umzusetzen.«
»Das ist doch nicht kompliziert.« Einvarður machte ein strenges Gesicht. »Man verschüttet Benzin und zündet es an.«
»Es kommt noch mehr dazu, wenn man genauer darüber nachdenkt. Man muss sich das Benzin erst besorgen und alle Feuerschutztüren geöffnet halten. Ich bezweifle, dass Jakob überhaupt weiß, was Feuerschutztüren sind. Wenn man seine Aussage unter Berücksichtigung seiner Behinderung betrachtet, hat er den Täter vielleicht gesehen, kann aber nicht sagen, wer es ist. Und es gibt noch mehr Ungereimtheiten, die ich hier nicht weiter ausführen will. Kurz gesagt, ich glaube, dass er geistig nicht in der Lage zu so etwas ist, ohne selbst den Flammen zum Opfer zu fallen.«
Einvarður hatte Dóra konzentriert zugehört, ließ sich aber nicht anmerken, was er von
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