Feuernacht
so zurecht, dass es gut zu sehen war.
»Konnte er sich gar nicht verständlich machen? Mit Worten oder Zeichensprache?«
Einvarður schüttelte den Kopf. »Nein, er hat nie etwas gesagt. Wir glauben, dass er gesprochene Sprache verstanden hat, aber er hat nie geredet. Er hat sich sehr für bebilderte Sachbücher interessiert, aber wir wussten nie, ob er sie gelesen oder nur die Bilder angeschaut hat. Oft hat er stundenlang dieselbe Seite angestarrt.«
»Glaubst du, dass er seine Umgebung überhaupt wahrgenommen hat?«
»Nein, ich glaube nicht. Meine Frau war da zwar anderer Meinung, aber in den zweiundzwanzig Jahren, die Tryggvi gelebt hat, haben wir nie einen Beweis dafür bekommen. Das zeigt vielleicht am besten, wie schwer begreifbar sein Leben war, zumindest für uns angeblich Normale.«
»Deine Frau hat also geglaubt, sie könnte Kontakt zu ihm aufnehmen?«
Einvarður legte die Hände flach auf den Schreibtisch und beugte sich vertraulich vor. »Ja, sie hatte die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es möglich wäre, Tryggvi zu heilen oder so zu therapieren, dass er ein mehr oder weniger normales Leben führen könnte. Ich habe da überhaupt keine Fortschritte gesehen, wollte meine Frau aber auch nicht bremsen. Natürlich hatte ich auch mal diesen Traum, aber ich habe nicht so große Hoffnungen gehabt wie sie. Obwohl schon ein paar bemerkenswerte Dinge passiert sind.« Er lehnte sich wieder im Stuhl zurück. »Jetzt werden wir nie erfahren, ob er es geschafft hätte.«
»Du hast ihn doch bestimmt im Heim besucht, auch wenn er nicht lange dort gewohnt hat. Wie fandest du die Einrichtung und den Umgang der Mitarbeiter mit den Bewohnern? Laut Jakob ging es den Bewohnern schlecht, aber ich weiß nicht, ob das vielleicht von seinem eigenen Unwillen herrührt, dort zu wohnen.«
Einvarður hob seine dunklen Augenbrauen, die so aussahen, als seien sie gezupft. »Davon habe ich nichts mitbekommen, und ich habe meinen Sohn normalerweise jeden zweiten Tag besucht. Das Heim war zwar etwas ab vom Schuss, aber ich bin mindestens zweimal in der Woche nach der Arbeit vorbeigefahren, und an den Wochenenden waren wir an beiden Tagen da. Fanndís und Lena haben ihn sogar noch öfter besucht, seine Mutter fast täglich.«
»Und dir ist nichts aufgefallen? Nichts, was darauf hindeutet, dass sich die Bewohner nicht wohl gefühlt haben?«
»Tja, den meisten Bewohnern ging es manchmal schlecht, aber das hatte nichts mit der Einrichtung zu tun. Viele hatten starke Schmerzen oder Schwierigkeiten, sich mitzuteilen, das muss Jakob wohl gemeint haben. Bevor er dort eingezogen ist, hat er ja, wenn ich mich recht erinnere, bei seiner Mutter gewohnt.«
Dóra nickte. Daran hatte sie auch schon gedacht. Sie überlegte, ob sie ihm von Aris Andeutungen, Tryggvi sei bei der Auswahl der Bewohner bevorzugt worden, erzählen sollte, hielt es aber für besser, es nicht zu tun. Da war zwar bestimmt etwas dran, aber es musste ja nichts mit dem Fall zu tun haben. »Und dein Sohn? Wirkte er glücklich?«
»Soweit ich das beurteilen kann, schon. Am Anfang war er sehr unruhig wegen der neuen Umgebung, aber das hat sich dann gebessert, und er wurde wieder so wie vorher. Wenn du die Unterlagen durchgesehen hast, weißt du ja, dass Tryggvi stark autistisch war und sehr sensibel auf Veränderungen reagiert hat. Er kann …«, verwirrt korrigierte er sich, »entschuldige, er konnte, muss ich wohl sagen, er konnte keinen plötzlichen Lärm, schnelle Bewegungen, Fremde oder Ernährungsumstellungen vertragen, er fuhr nicht gerne Auto und hätte sich nie in ein Flugzeug gesetzt. Er brauchte in allem Stabilität und hat sehr negativ auf Veränderungen reagiert.«
»Hat er die Zimmer der anderen betreten? Ist er auf eigene Faust im Heim herumgelaufen? Vielleicht nicht am Anfang, aber später?«
»Ausgeschlossen. Er hätte nie die Initiative ergriffen, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Er war immer in seinem Zimmer, außer wenn er gezwungen wurde, es zu verlassen. Wer sagt denn, dass Tryggvi andere Zimmer betreten haben soll? Jakob?« Sein Gesicht verhärtete sich. »Will man die Sache jetzt meinem Sohn anhängen?«
Dóra schüttelte den Kopf. »Nein, deshalb habe ich nicht gefragt. Für deinen Sohn gilt dasselbe wie für Jakob. Um den Brand auf diese Weise zu legen, braucht man eine gewisse Organisationsfähigkeit, und die hatte keiner von beiden, wenn auch aus verschiedenen Gründen. Wir versuchen nicht, deinem Sohn die Schuld in die Schuhe
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