Feuernacht
seine Zweifel, ob die Bücher regelmäßig abgestaubt würden. Dóra störte das nicht weiter, aber sie hielt lieber den Mund; ihr war schon lange klar, dass Matthias am liebsten an Orten aß, wo dieselben Sauberkeitsregeln herrschten wie in einem Operationssaal. »Pass einfach auf, dass du nicht aus Versehen in ein Buch beißt.« Er warf ihr einen bösen Blick zu und studierte dann die Karte.
»Wir sollten Einvarðurs Frau, diese Fanndís, direkt anrufen. Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist.« Dóra beobachtete, wie die Bedienung zwei Tassen Kaffee für sie einschenkte. »Und bevor die beiden ihre Meinung wieder ändern.«
»Soll ich mitkommen? Ich kann zwar nicht viel beitragen …«
»Warum nicht? Du scheinst jedenfalls keinen negativen Einfluss auf ihren Mann gehabt zu haben.«
»Frauen sind anders. Sie vertraut dir bestimmt viel mehr an, wenn du alleine bist. Und ich weiß gar nicht so richtig, wie ich mich verhalten soll, wenn diese Krankheit zur Sprache kommt. Leider verstehe ich das meiste, auch wenn ich es gar nicht wissen will.«
Während der Kaffee serviert wurde, schwiegen sie höflich, und als die Bedienung wieder gegangen war, sagte Dóra: »Das wird kein Problem sein, und an das Thema gewöhnt man sich schnell. Vielleicht ist sie ja auch eine von der Sorte, die total aufdreht, wenn ein attraktiver Mann in der Nähe ist.« Sie trank einen Schluck dampfenden Kaffee. »Außerdem habe ich keine Lust, alleine hinzugehen.«
Das Essen wurde erstaunlich schnell serviert und verschwand ebenso schnell in ihren Mägen. Anschließend fühlte sich Dóra viel besser, zumal das Essen ausgezeichnet war. Sogar Matthias hatte nach seiner anfänglichen Skepsis seinen Teller leer gegessen. »Die brauchen sie jedenfalls nicht mehr zu spülen«, sagte Dóra und betrachtete ihre glänzenden Teller. »Dann haben sie vielleicht Zeit, die Bücher abzustauben.« Sie grinste Matthias zu, während sie Fanndís Handynummer raussuchte.
Lena sah, wie ihre Mutter das Handy weglegte und an die Decke starrte. Während des Telefonats hatte sie ununterbrochen ihr Ohr geknetet. Seit Tryggvis Tod war dieser Tick immer stärker geworden, und ihr Ohr war schon ganz rot vom vielen Kneten. »Wer war dran?«, fragte Lena beiläufig.
»Was?« Ihre Mutter schaute sie verwirrt an, und einen Moment lang hatte Lena den Eindruck, sie würde sie gar nicht erkennen.
»Am Telefon. Wer hat angerufen?« Lena biss in den Apfel, den sie mit Bedacht aus der Obstschublade im Kühlschrank ausgewählt hatte, bevor sie die große Stahltür hatte zuknallen lassen.
»Oh …« Die Grimasse, die ihre Mutter bei der Bildung dieses winzigen Worts machte, blieb unnötig lange auf ihrem Gesicht haften. Ihre hellrot geschminkten Lippen bildeten einen Kreis um ein schwarzes Loch, das darauf wartete, dass weitere Worte heraussprudelten. »Ach, das meinst du … das war diese Frau, die ich treffen soll.« Sie fuhr sich mit den Fingern durchs perfekt gestylte Haar. »Du musst den Apfel waschen, bevor du ihn isst, Lena. Die werden mit Insektenschutzmittel besprüht, das willst du ja wohl nicht mitessen.«
Lena ignoriere den Hinweis und schluckte den Bissen herunter. »Welche Frau? Wer ist das, und warum sollst du sie treffen?«
»Dein Vater wollte das. Sie ist Anwältin. Mach dir keine Gedanken darüber.« Ihre Mutter lächelte verkrampft und wirkte alles andere als überzeugend. »Wolltest du heute nicht lernen? Du hast nicht mehr viel Zeit bis zu den Prüfungen.«
Lena zuckte die Achseln. »Ja, nachher, hat keine Eile.« Sie ging zur Kücheninsel und setzte sich ihrer Mutter gegenüber auf einen Barhocker. »Wollt ihr euch etwa scheiden lassen?« Sie versuchte, so gleichgültig wie möglich zu klingen. Ihr Vater verbrachte ungewöhnlich viel Zeit im Büro. Lena hatte allerdings erst angefangen, sich Sorgen zu machen, als sie einen Streit ihrer Eltern wegen einer Frau im Ministerium mitbekommen hatte. Ihre Mutter wollte, dass ihr Vater die Frau beurlaubte, und sie mischte sich normalerweise nie in seine Personalangelegenheiten ein. Was für eine Rolle spielte eine Frau mehr oder weniger im Ministerium? Was Lena von dem Wortwechsel gehört hatte, ließ darauf schließen, dass es nicht um die Arbeit ging. Ihre Mutter sagte, er solle sich von der Frau nicht zum Narren halten lassen, er könne doch nicht so dämlich sein, ihre Geschichten zu glauben. Nein, es bestand kein Zweifel daran, dass ihr Vater irgendeiner Tussi verfallen war, vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher