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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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krepiert.«

12 . KAPITEL
    MONTAG ,
11 .  JANUAR 2010
    Dóra und Matthias waren mit dem Treffen mit Einvarður ziemlich zufrieden. Es war zwar nicht viel Neues dabei herausgekommen, aber er hatte ihnen seine Unterstützung zugesichert, und das war schon ein Fortschritt. Falls Dóra irgendwelche Unterlagen oder Infos brauchte, würde er sich darum kümmern. Es musste sehr angenehm sein, dieser Gruppe von Menschen anzugehören, die immer alles durchsetzen konnte. Einvarður hatte sein Angebot ohne irgendeinen Vorbehalt gemacht, er musste keine Zustimmung anderer einholen oder noch mal darüber nachdenken. Er würde ihnen einfach den Weg ebnen und war davon überzeugt, das zu können. Dóra war so etwas nicht gewohnt und dachte sofort, sie hätte den Mann missverstanden. Nicht, weil er sich so sicher war, fehlende Unterlagen beschaffen zu können, sondern weil er ihr die einfach so aushändigen wollte. Begehrte Informationen bedeuteten Macht, und die wollte man normalerweise nicht mit anderen teilen. Unter normalen Umständen hätte sich der Mann inständig bitten lassen und dann zögerlich ein paar Infos rausgegeben, nur um seine eigene Wichtigkeit zu demonstrieren. Vielleicht hatte er ja wegen seiner Direktheit keine Karriere in der Politik gemacht.
    Als Krönung seiner Hilfsbereitschaft hatte Einvarður auch noch seine Frau angerufen und ihr gesagt, sie solle Dóra bei allem unterstützen. Während des Telefonats war Dóra gezwungen, das Gespräch der Ehepartner mit anzuhören, und versuchte, möglichst gedankenversunken zu wirken, so als würde sie überhaupt nichts davon mitbekommen. Aber natürlich hörte sie alles, was Einvarður sagte, ebenso wie die undeutliche Stimme seiner Frau. Einvarður gab seiner Frau zwar eine klare Anweisung, aber nicht unfreundlich oder im Befehlston. Dennoch ging er unmissverständlich davon aus, dass seine Anweisung bedingungslos befolgt wurde. Anschließend teilte er ihnen mit, Fanndís wäre bereit, sie zu treffen, wann immer es ihnen passte. Er schrieb die Handynummer seiner Frau auf einen Zettel und reichte ihn Dóra. Als sie ihn entgegennahm, ließ er ihn nicht gleich los, sondern schaute ihr eindringlich in die Augen. »Wir wollen alle, dass der richtige Mann verurteilt wird, ich bestehe sogar darauf.« Dann ließ er den Zettel los, und Dóra stand da und wusste nicht, ob diese Forderung allgemein gesprochen oder an sie gerichtet war. Sie murmelte ein paar Abschiedsworte.
    Matthias hatte die wichtigsten Punkte der Unterhaltung verstanden. »Wie es wohl ist, ein so schwer behindertes Kind zu haben?«
    »Bestimmt sehr schwierig.« Der Schnee knirschte unter ihren Füßen. An belebteren Orten war die weiße Schneedecke bestimmt schon zu Matsch geworden, aber hier war sie fast noch unberührt, obwohl es schon kurz vor Mittag war. »Schwierig und traurig, aber man bekommt bestimmt auch viel zurück und lernt die kleinen Dinge zu schätzen. Die Menschen stellen sich meistens schnell auf neue Situationen ein und geben sich mit dem zufrieden, was das Leben für sie bestimmt hat.«
    »Das klingt ja sehr philosophisch.«
    »Du hast mich doch gefragt.« Sie gingen über die Straße zu Dóras Wagen. »Aber eigentlich habe ich überhaupt keine Ahnung und möchte es mir auch gar nicht vorstellen.« Seit sie den Fall übernommen hatte, hatte sie oft darüber nachgedacht, wie das Leben ihres Enkels Orri aussähe, wenn er körperlich oder geistig behindert wäre. Meistens hatte sie den Gedanken sofort wieder verdrängt und überlegt, ob sie Vorurteile hatte, aber das war es nicht. Im Gegenteil, es schmerzte sie, an diese jungen, schwer behinderten Menschen zu denken, die so vieles im Leben verpassten. Ihr war vollkommen klar, dass solche Gedanken verletzend waren, weil man den Betreffenden nicht als Menschen wahrnahm, sondern auf seine Behinderung reduzierte. Dóra nahm sich vor, die Dinge in Zukunft anders zu sehen. »Ich könnte jetzt wirklich was zu essen gebrauchen.« Suchend ließ sie ihren Blick durch die Hverfisgata schweifen. »Ich weiß nicht, ob ich depressiv werde oder kurz vorm Verhungern bin, aber ich muss jetzt etwas essen.«
    Sie gingen zu einem kleinen Café in der Nähe, und als Dóra auf der Karte im Fenster las, dass es Eier mit Speck gab, war ihre Entscheidung gefällt. Matthias war weniger begeistert: Das Lokal war mit Bücherregalen vollgestellt, die kurz vorm Zusammenbrechen waren. Es gab nur wenige Tische. Dóra fand es gemütlich, aber Matthias sagte leise, er habe so

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