Feuernacht
es, dass dieser Bjarni in Zimmer zwei noch nicht entlassen wurde? Die Röntgenbilder zeigen doch, dass er genauso gut zu Hause liegen kann, und wir brauchen einfach mehr Betten. Das habe ich doch gestern schon deutlich gesagt.« Der Oberarzt war nur selten gut gelaunt und hatte ständig etwas zu meckern. Er stand kurz vor der Pensionierung, und die organisatorischen Veränderungen der letzten Jahre auf der Station und im Krankenhaus gefielen ihm gar nicht. »Das war doch wohl unmissverständlich.« Stille legte sich über die Runde. Jeder hoffte, dass ein anderer die Sache erklären würde. Unterdessen versuchte der Oberarzt vergeblich, mit seinen Mitarbeitern Augenkontakt aufzunehmen, bis endlich eine Krankenschwester das Wort ergriff. »Seine Frau weigert sich, ihn nach Hause zu holen. Das Sozialamt wurde eingeschaltet, und uns wurde gesagt, wir sollen uns da nicht einmischen, bis eine Lösung in Sicht ist.«
Der Arzt legte die Patientenakte auf den Tisch und seufzte gereizt. »Und dagegen hat niemand protestiert? Das ist nicht unser Problem, der Mann ist vollkommen gesund, na ja, im Großen und Ganzen.« Wieder sagte niemand etwas. Der Patient war nicht wirklich genesen, und seine Frau hatte selbst gerade eine Hüftoperation hinter sich und konnte sich zu Hause nicht um ihn kümmern. »Heute Nachmittag stehen zwei Einlieferungen an, was schlagt ihr vor, was wir mit denen machen sollen? Sie zurück nach Hause schicken?«
»Wir hätten sie ja kaum ins selbe Bett legen können, also ist dieser Patient nicht die Ursache des Problems. Die Einlieferungen hier auf der Station müssen viel besser koordiniert werden. Ob nun ein oder zwei Patienten auf dem Gang liegen, macht da keinen Unterschied, so was ist generell niemandem zuzumuten.« Alle gingen davon aus, dass der Mann, der das gesagt hatte, nach der Pensionierung des Oberarztes dessen Stelle übernehmen würde. Er war ruhig und zurückhaltend, hatte aber in der letzten Zeit öfter das Wort ergriffen.
Der Oberarzt hielt nicht viel von den Versuchen seines Kollegen, den anderen zu imponieren. Er verschränkte die Arme und zerknitterte seine gestreifte Krawatte, die übertrieben auffällig und für die herrschende Mode viel zu breit war. »Das ist nicht das Einzige, was gestern schiefgelaufen ist. Wie ich sehe, wurde immer noch keine Logopädin für das behinderte Mädchen in Zimmer sieben bestellt. Wir müssen unbedingt wissen, wie es ihr geht, um eine Diagnose stellen zu können.«
»Sie war gestern hier.« Die Krankenschwester, die das gesagt hatte, errötete leicht. »Die Logopädin. Wahrscheinlich hat jemand vergessen, es aufzuschreiben, aber sie war hier und hat eine halbe Stunde bei dem Mädchen gesessen.«
»Und? Sie werden sich ja wohl nicht übers Wetter unterhalten haben. Hat sie niemanden über das Ergebnis unterrichtet? Ist sie sang- und klanglos wieder verschwunden?«
Die junge Krankenschwester wurde immer nervöser und fingerte an dem Stift in der Brusttasche ihres Kittels herum. »Ich habe kurz mit ihr gesprochen, sie wollte sich heute mit uns in Verbindung setzen.«
»Worauf wartet die denn?« Der Oberarzt spannte seine verschränkten Arme noch mehr an, so dass seine Krawatte immer grotesker aussah. »Ist der Frau nicht klar, dass wir darauf warten?«
»Ich weiß es nicht.« Die junge Frau warf ihrem zukünftigen Chef einen flehenden Blick zu, aber ohne Erfolg. »Sie hat gesagt, sie würde einen kurzen Bericht über ihr Gespräch mit der Patientin schreiben. Wenn ich sie richtig verstanden habe, hat sie geglaubt, sie hätte etwas missverstanden oder falsch interpretiert.«
»Missverstanden? Falsch interpretiert?« Der spöttische Ton war völlig unangemessen, aber der Oberarzt redete sich langsam in Rage. »Wie kann man so eine simple Sache missverstehen? Hast du diese Karten gesehen, die sie benutzt? Da stehen nicht besonders viele Worte zur Auswahl.«
»Ich weiß nicht genau, was sie meinte, aber sie ist bestimmt eher dazu in der Lage, ihre Schlüsse zu ziehen, als wir.« Die Krankenschwester hatte aufgehört, mit ihrem Stift herumzuspielen. Sie wurde langsam sauer.
»Was du nicht sagst.« Der Oberarzt ließ die Arme sinken. »Jedenfalls können wir nicht noch einen Tag darauf warten, daher schlage ich vor, dass du dich gleich im Anschluss mit ihr in Verbindung setzt.«
Die Schwester nickte nur. Innerlich kochte sie vor Wut auf ihre Kollegen, die die ganze Zeit geschwiegen hatten. Sie hatte dieses Spiel zwar selbst oft genug gespielt,
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