Feuernacht
aber sie wusste, dass sie dann der Mut verlassen hätte. Und dann müsste sie den toten Raben, der auf dem Rasen lag, die ganze Zeit ansehen, bis Halli nach Hause kam. Das war undenkbar. Berglind fasste den Griff der Schiebetür und öffnete sie hastig.
Kühle, feuchte Luft schlug ihr entgegen, und sie atmete tief durch die Nase ein. Der Geruch erinnerte an den Komposthaufen, den sie mal versucht hatten anzulegen, dann aber wegen des Gestanks wieder entfernt hatten. Sie hoffte, dass der Geruch nicht von dem Vogelkadaver kam, aber das war ziemlich abwegig. Der Vogel hatte gestern Abend noch nicht dagelegen und konnte im Winter nicht so schnell verrotten. Dennoch hielt sich Berglind die Nase zu, als sie über das nasse Gras ging und mit dem Schlimmsten rechnete. In der anderen Hand hatte sie eine Schaufel und eine Plastiktüte, um den Kadaver nicht anfassen zu müssen. Je näher sie kam, desto intensiver wurde der Gestank, und sie verlangsamte automatisch ihre Schritte. Vielleicht lag der Vogel doch schon länger da und war durch das Tauwetter in der Nacht unter dem Schnee zum Vorschein gekommen, obwohl das kaum möglich war; dort, wo er lag, war keine Schneewehe oder unebene Stelle gewesen. Als Berglind nah genug herangekommen war, um nach dem Vogel greifen zu können, merkte sie, dass der Gestank einfach in der Luft lag und gar nichts mit dem Vogel zu tun hatte. Aber sie konnte unmöglich ausmachen, wo er herkam – er war allumfassend, intensiv und ekelhaft. Sie lehnte die Schaufel gegen ihren Körper, um beide Hände freizuhaben, und schlug sich den Kragen ihres Morgenmantels vor die Nase. Sie legte den Kopf schräg und klemmte den Kragen zwischen Wange und Schulter ein, aber er hatte kaum Halt und würde bald herunterrutschen, so dass sie sich beeilen musste.
Berglind bückte sich vorsichtig und legte die Plastiktüte so zurecht, dass sie offen stand, aber der Wind schien ihr das Leben schwermachen zu wollen und blies die Tüte jedes Mal wieder zu. Die Windstille, bei der Berglind in den Garten getreten war, entpuppte sich als trügerisch. Sie reckte sich nach einem kleinen Stein in der Nähe, um die Plastiktüte damit zu fixieren. Aber er würde nicht ausreichen, um die Tüte offen zu halten, und sie beschloss, weitere Steine aus dem Kiesstreifen neben den Beeten weiter hinten im Garten zu holen. Beim Gehen rutschte Berglinds Kragen herunter, und sie vergrub Mund und Nase in ihrer Armbeuge, um sich vor dem Gestank zu schützen, den der Wind nicht vertrieben hatte. Auf Anhieb fühlte sie sich besser, und als sie am Ende des Gartens angelangt war, nahm sie nur noch den schwachen Geruch von Waschmittel wahr.
Berglind wusste nicht mehr genau, wo der Kies war, denn in diesem schattigen, düsteren Teil des Gartens war der Schnee noch so gut wie unberührt. Sie stocherte mit der Fußspitze in dem weißen Nass herum, fand die Stelle, schob einen kleinen Fleck frei und bückte sich, um ein paar größere Steine aufzuheben. Dabei verfing sich ihr Haar in einem toten Zweig. Berglind ärgerte sich über ihren Mann, der sich im Herbst geschickt darum gedrückt hatte, die Zweige beizuschneiden. Ihre Kopfhaut tat weh, und sie kämpfte damit, ihre Haarsträhnen zu befreien, aber es war, als würde der Zweig Widerstand leisten und zurückziehen. Erst als sie alle Haare, die sich in den Zweigen verheddert hatten, packte und fest daran zerrte, lösten sie sich, wirr und zerzaust. An den nackten Zweigen hingen noch ein paar Haare und flatterten im Wind, bis auch sie losgerissen und weggeweht wurden. Berglind schaute ihnen verärgert hinterher und massierte ihre schmerzende Kopfhaut. Am liebsten hätte sie laut geflucht, beherrschte sich aber. Man hielt sie schon für verrückt, da musste sie nicht auch noch Selbstgespräche führen. Als sie sich mit den Steinen in den Händen wieder aufrichten wollte, hörte sie plötzlich direkt neben ihrem Ohr ein Fauchen und erschrak so sehr, dass sie das Gleichgewicht verlor, nach hinten fiel, und mit dem Gesäß im nassen Schnee landete.
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Als sie in zwei gelbe Augen starrte, die sie aus der Hecke heraus fixierten, spürte sie, wie die Kälte in ihren feuchten Morgenmantel kroch. Die Nachbarskatze stand mit angespannten Muskeln an der Grundstücksgrenze und machte einen Buckel. Berglind spürte, wie sich die Haare auf ihren Armen aufrichteten. »Dämliches Viech«, murmelte sie, ohne sich darum zu scheren, ob sie jemand hörte. »Was hast du denn?« Die
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