Feuernacht
verarbeiteten Traumas wegen des tödlichen Unfalls bezeichnet hatte. Ein leises Knirschen hinter ihr überzeugte sie endgültig davon, dass es nichts gebracht hätte, die Therapie fortzusetzen. Traumata erzeugten keine Geräusche oder andere Sinneswahrnehmungen. Oder war sie wirklich verrückt geworden? Der Psychologe wäre bestimmt zufrieden, wenn er wüsste, dass seine Worte solche Gedankengänge bei ihr auslösten, vielleicht war das der Einfluss der Beurlaubung, zu der er sie fast gezwungen hatte. Wenn sie auf der Arbeit wäre, würde sie jetzt nicht hier stehen, mit panischer Angst vor etwas, das vielleicht gar nicht existierte, in einem schmutzigen Morgenmantel und mit wirrem Haar.
Wieder knirschte der Schnee. Gleichgültig, ob das, wovor sie Angst hatte, Einbildung oder Wirklichkeit war: Sie konnte unmöglich an dieser Stelle stehen bleiben.
Eins, zwei, drei.
Berglind konzentrierte sich darauf, ihre Umgebung auszublenden und an etwas ganz anderes zu denken. Pési. Was er wohl gerade machte? Ob er Kakao trank oder einen Apfel aß, wie immer, wenn sie ihn früh abholte? Berglind schloss die Augen und dachte daran, wie süß er sie angelächelt hatte, als sie ihn gestern abgeholt hatte. Er hatte etwas abseits an der hinteren Wand gesessen, während sich die anderen Kinder mitten im Raum über eine Kiste Spielzeug hermachten. Als Pési aufstand, wurden die Kinder etwas ruhiger und wichen zurück, als er den Raum durchquerte. Berglind beobachtete verwundert, wie die Kinder ihr Spielzeug ablegten, aufstanden und weggingen. Kein Kind sagte etwas, und der fröhliche Lärm, der ihr entgegengeschlagen war, war nur noch ein ferner Traum. Pési schien sich davon nicht stören zu lassen und ignorierte die anderen Kinder. Berglind war beunruhigt, sie war so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt gewesen, dass sie gar nicht mitbekommen hatte, wie schlecht Pési im Kindergarten integriert war. Bis dahin war alles ganz reibungslos verlaufen, er hatte viele Freunde gehabt, aber je mehr sie zurückdachte, desto klarer wurde ihr, dass sich das geändert hatte. Wenn sie ihn abholte, war er immer alleine. Saß alleine auf der Schaukel und ließ die Beine baumeln, schaufelte gedankenversunken alleine im Sandkasten, stapfte alleine durch den Schnee am Rand des Spielplatzes. Alleine.
Die Kindergärtnerin lächelte Berglind an, so als sei es ganz normal, dass die anderen Kinder vor ihrem Sohn Angst hatten. Berglind beugte sich zu Pési hinunter und schickte ihn in den Flur, um seine Winterstiefel anzuziehen. Dann fragte sie die junge Frau geradeheraus, was eigentlich los sei und ob Pési gemobbt würde. Die Frau lächelte wieder, diesmal etwas zögerlich, und sagte, Kinder seien manchmal so, ohne sich etwas Schlimmes dabei zu denken. Es gäbe keine Erklärung für dieses Verhalten, es hätte vor einiger Zeit angefangen und schien sich nicht zu ändern. Sie hätten schon darüber nachgedacht, Berglind und Halli zu kontaktieren, dann aber beschlossen, bis zu den Elterngesprächen an Ostern abzuwarten, ob sich die Situation besserte. »Mach dir keine Sorgen, das wird schon wieder. Es dauert nur ein bisschen.« Genau dasselbe. Das war genau dasselbe, was man ihr auch sagte. Sie mache eine gewisse Phase durch und bräuchte nur etwas Zeit, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Als Berglind die Kindergärtnerin bedrängte, vielleicht ein bisschen mehr als beabsichtigt, entgegnete sie, sie hätte versucht, die Kinder nach dem Grund zu fragen, aber keine vernünftige Antwort bekommen, nur, dass sie Angst vor der bösen Frau hätten, die immer bei Pési sei. Die Kinder hätten nicht näher erklären können, was für eine Frau sie meinten, aber Berglind merkte, dass die Kindergärtnerin zwei und zwei zusammenzählte und die falschen Schlüsse zog. Sie glaubte, Berglind sei diese böse Frau, vor der die Kinder Angst hatten. Man konnte es ihr nicht übelnehmen. Anstatt der Kindergärtnerin die ganze Geschichte zu erzählen, bedankte sich Berglind höflich und verabschiedete sich. Aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen sprach sie nicht mehr mit Fremden darüber. Ihre Lage war schon schlimm genug, und Berglind hatte die vage Hoffnung, dass noch nicht alle über ihr Unglück Bescheid wussten.
An der Garderobe wartete Pési, die Schuhe verkehrt an den Füßen und offensichtlich froh, aus dem Kindergarten nach Hause zu kommen. Berglind musste sich auf die Zunge beißen, um wegen dieser Ungerechtigkeit nicht laut zu schreien. Ihr Sohn hatte
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