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Feuernacht

Feuernacht

Titel: Feuernacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardóttir
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Katze antwortete mit einem weiteren Fauchen, wesentlich leiser als beim ersten Mal. »Hau ab!« Berglind wedelte mit der Hand, um die Katze zu verscheuchen, aber sie rührte sich nicht. Berglind stand auf und wischte ihre schmutzige Hand an ihrem Morgenmantel ab. Der musste sowieso in die Wäsche. Sie hielt nach den Steinen Ausschau, aber die waren wieder im Schnee versunken und hatten schwarze Löcher hinterlassen, die ein schemenhaftes Gesicht bildeten: zwei Augen und einen weit geöffneten Mund. Entgegen aller Vernunft graute ihr davor, durch die imaginären Augenhöhlen oder die schwarze Kehle nach den Steinen zu tasten. Stattdessen suchte sie schnell ein paar neue Steine. Diesmal achtete sie auf die Zweige, ließ aber die Katze nicht aus den Augen. So, wie die sich in letzter Zeit verhalten hatte, sollte man besser auf der Hut sein. Die Katze hatte sie früher immer besucht, miauend vor der Schiebetür gestanden und oft erfolgreich einen Bissen erbettelt, aber jetzt blieb sie immer an der Grundstücksgrenze stehen und beobachtete von dort alles ganz genau. Berglind konnte diese Verhaltensänderung genau datieren, verdrängte jedoch die Gewissheit, dass sie mit der Beschwörung zusammenhing, die den Geist aus dem Haus vertrieben hatte. Die Katze war vielleicht die Einzige, die Berglind verstand und genau wie sie davon überzeugt war, dass sich der Geist oder dieses tote Wesen immer noch hier draußen herumtrieb.
    Alle anderen hatten sich von ihr abgewandt, sogar diejenigen, die den Geist am Anfang auch bemerkt, sie verstanden und bemitleidet hatten. Das war der Beweis für das, was Berglind schon die ganze Zeit gewusst hatte, aber nicht realisieren wollte: dass sich die Leute nur begrenzt für die Probleme anderer interessierten. Vielleicht konnten sie eine Zeitlang mitfühlen, wenn einem ein Unglück zugestoßen war, erwarteten dann aber, dass man sich zusammenriss und so weitermachte wie vorher. Das hatte sie schon mal am eigenen Leib erfahren. In ihrer Jugend hatte der Tod ihres Großvaters ihr sehr zu schaffen gemacht. Ihre engsten Verwandten fanden es rührend, wie sie um ihn trauerte, aber nach einiger Zeit stieß sie mit ihren Tränen nur noch auf Unverständnis und Verdruss. Wenn ihre Eltern es nicht hörten, tuschelte man über sie, ohne sich darum zu scheren, dass sie darunter litt. Jetzt, fünfundzwanzig Jahre später, wurde sie wieder für egoistisch oder gar psychisch krank gehalten. Dieselbe Tante, die sie damals mit ihrer Gehässigkeit gekränkt hatte, wiederholte das Spiel, als Berglind sie im Einkaufszentrum Kringlan traf. Auf die drängenden Fragen nach dem Spuk erzählte Berglind ihrer Tante ganz offen von ihren Problemen, und als sie sich voneinander verabschiedeten und Berglind mit Pési weiterging, flüsterte die Tante ihrer Freundin verschwörerisch zu: »Die war schon als Kind seltsam, aber jetzt dreht sie anscheinend völlig durch. Unglaublich, dass man sie frei herumlaufen lässt … dass sie überhaupt das Kind behalten darf …« Berglind hätte sich am liebsten umgedreht und die Tante zur Rede gestellt, aber sie nahm ihren Sohn nur fest an der Hand und ging hocherhobenen Hauptes weiter, mit feuerrotem Gesicht und Tränen in den Augen.
    Ihre Gänsehaut wurde stärker – nicht weil sie an die Begegnung mit der Tante dachte, sondern wegen dem, was sich womöglich hinter ihr versteckte und der Katze Angst machte. Sie bemühte sich, an die Leute zu denken, die verständnisvoll gewesen waren, aber es waren so wenige, dass sie nur noch frustrierter wurde. Ihre Schwester stand zu ihr, keine Frage, wobei die sich nie dazu geäußert hatte, ob sie Berglind glaubte oder nicht. Das spielte in ihren Augen einfach keine Rolle. Wenn es Berglind nicht gutging, war sie zur Stelle, Punkt. Berglinds Nachbarn und ihr Chef hatten hingegen nie an dem Spuk gezweifelt, wollten mehr darüber hören und die Entwicklung der Dinge mitverfolgen. Was auch immer kommen mochte, Berglind würde diesen Leuten ewig dankbar sein. Man brauchte nun mal besondere Charakterstärke, um gegen den Strom zu schwimmen.
    Doch in diesem Moment war kein verständnisvoller Mitmensch hier, nur diese unerklärliche Bedrohung hinter ihr, und sie musste es auf eigene Faust zurück ins Haus schaffen. Es gab nicht viele Alternativen, sie würde sich nicht durch die Büsche schlagen und durch den Garten der netten Nachbarn rennen, zumal die Haustür abgeschlossen war und der einzige Weg durch die Terrassentür führte. Es war auch

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