Feuernacht
nicht mit einem Tritt gegen das Schienbein vergleichen.« Sie lächelte nicht mehr. »Als Tryggvi gestorben ist, habe ich vergleichbare Schmerzen gehabt.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das sehr schwer war, das braucht Zeit.« Dóra beeilte sich, das Gespräch wieder zurück aufs Thema zu lenken. »Gehen wir mal davon aus, Jakob hätte den Brand nicht gelegt, gibt es deiner Meinung nach einen Bewohner, der zu so einem letzten Ausweg greifen würde? Vielleicht, ohne sich über die Folgen seiner Tat bewusst zu sein?«
Fanndís griff wieder an ihr Ohr, und Dóra überlegte, ob sich unter dem Perlenohrring schon eine Kuhle gebildet hatte. »Da fällt mir niemand ein. Die meisten waren körperlich oder geistig unmöglich in der Lage dazu. Außer Jakob.«
»Was den Intellekt betrifft, habe ich da starke Zweifel. Die Brandstiftung verlangt eine größere Organisationsfähigkeit, als Jakob sie hat.« Aus dem Augenwinkel sah Dóra, dass Matthias unauffällig zur Wohnzimmertür spähte, aber Fanndís war ohnehin voll und ganz auf Dóra konzentriert. »Und was ist mit den Mitarbeitern oder den Angehörigen der anderen Bewohner? Könnte von denen jemand in die Sache verstrickt sein?«
Fanndís’ Gesichtsausdruck gab zu erkennen, dass sie die Frage völlig geschmacklos fand, und Dóra fühlte sich so, als hätte sie ihren Kaugummi aus dem Mund genommen und unter die Tischplatte geklebt. »Natürlich nicht. Die Mitarbeiter waren ganz normale Leute, die niemals so ein Verbrechen begehen würden. Warum auch? Ihr Arbeitsplatz wurde zerstört, und einige sind arbeitslos geworden. Und was die anderen Angehörigen betrifft, die waren nicht so oft dort, die meisten haben ja gearbeitet und hatten nicht viel Zeit. Sie kamen meistens am Wochenende, und mir ist nie etwas Ungewöhnliches an ihnen aufgefallen.«
»Entschuldigt mich bitte einen Moment.« Matthias stand plötzlich auf und lächelte sie an. »Ich muss mal kurz zum Wagen und telefonieren, es dauert nicht lange.«
Dóra ließ sich ihre Verwunderung nicht anmerken und wartete mit weiteren Fragen, bis er gegangen war. Im Grunde war sie froh, dass er das Gespräch an dieser Stelle unterbrochen hatte, weil die Stimmung dadurch wieder etwas aufgelockert wurde. »Hat dein Mann dir erzählt, dass Lísa, das Mädchen, das im Wachkoma lag, schwanger war?« Fanndís zupfte an ihrem Ohr und knetete es kräftig, während sie zustimmend nickte. »Derjenige, der sie geschwängert hat, hatte doch allen Grund, den Brand zu legen, oder?« Fanndís nickte stumm. »Hoffentlich wird der Schuldige am Ende gefunden, ein DNA -Test des Embryos liegt ja vor, man muss nur noch den richtigen Mann finden.«
»War das denn nicht Jakob?«, fragte Fanndís und starrte Dóra wütend an. »Du solltest ihn mal zu einem DNA -Test schicken. Ich weiß ja nicht, was für einen Eindruck du von ihm hast, aber er ist aggressiv und meiner Meinung nach absolut in der Lage zu so einer Tat.«
»Jakob wurde bereits ausgeschlossen«, antwortete Dóra. »Der Schuldige läuft noch frei herum und hat womöglich noch mehr Opfer, wenn nicht gar den Brand auf dem Gewissen.«
Zwei Kaffeetassen später verabschiedeten sich Dóra und Matthias, der kurz vor Ende des Gesprächs wieder aufgetaucht war. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel, stieß sie ihn mit dem Ellbogen an und fragte, wo er eigentlich gewesen sei. Erst als sie im Wagen saßen, bekam sie eine Antwort. »Ich habe gesehen, wie uns eine junge Frau belauscht hat. Sie hat mitbekommen, dass ich auf sie aufmerksam geworden bin, was ihr natürlich peinlich war, aber dann hat sie mir ein Zeichen gegeben, zu ihr zu kommen.« »Und? Was hat sie gesagt?«
»Sie hat jedenfalls eine ganz andere Geschichte erzählt als ihre Mutter.«
15 . KAPITEL
MONTAG ,
11 . JANUAR 2010
Der Garten sah fürchterlich aus; nach dem plötzlichen Wärmeeinbruch taute der Schnee, die gelbe Grasnarbe und die kahlen Blumenbeete kamen langsam zum Vorschein. Die kümmerlichen Sträucher am Rande des Grundstücks wurden von der schmelzenden Last niedergedrückt, vereinzelte Blätter vom letzten Jahr fielen unter dem Druck des Wassers zu Boden. Nur Pésis rote Plastikschaufel erinnerte Berglind an den Sommer, nach dem sie sich so sehr sehnte. Sie schlang den Bademantel fester um sich und schlüpfte mit nackten Füßen in die Gummistiefel, die sie aus der Garage geholt hatte. Sie waren eiskalt, und ihre Zehen krampften sich zusammen. Natürlich hätte sie sich wärmer anziehen sollen,
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