Feuernacht
sinnlos, einfach abzuwarten – der Wind wurde immer stärker, und ihr nasser Morgenmantel bot kaum Schutz. Berglind musste sich umdrehen und durch den Garten gehen, vorbei an dem toten Raben und dem anderen, an das sie nicht zu denken wagte. Sie ließ die Katze, die ihr starr in die Augen schaute, nicht aus dem Blick. Das Tier öffnete das Maul und fauchte erneut, kurz und laut. Berglind konnte nicht länger warten. Sie richtete sich langsam auf, während die Katze weiter fauchte. Das Tier wurde immer angespannter, und seine gelben Augen starrten an ihr vorbei auf etwas, das seine Aufmerksamkeit erregte. Berglind versteifte sich. Warum war sie wegen dieser Lappalie in den Garten gegangen? Sie hätte genauso gut die Gardinen zuziehen und die zerzausten schwarzen Federn und den weit geöffneten Schnabel des Raben, der stumm in den grauen Himmel schrie, vergessen können. Vielleicht war die Katze ja auch nur wegen des Kadavers so beunruhigt. Vielleicht hielt sie den Vogel für lebendig, hatte Angst vor seiner Größe und machte sich deshalb selbst so groß wie möglich und fauchte grimmig. Berglind versuchte vergeblich, etwas heraufzubeschwören, das ihr Kraft und Mut gab. Die einzige Möglichkeit war, den Kopf frei zu kriegen, sich umzudrehen und dem entgegenzutreten, was sie erwartete.
Plötzlich bewegte sich die Katze und machte Berglinds Plan zunichte. Sie zog die Vorderpfoten dicht an ihren Körper und wollte in ihren Garten zurückweichen, doch bevor sie loslief, schaute sie Berglind an und miaute herzzerreißend. Dann drehte sie sich um und verschwand aus Berglinds Blickfeld, ihr langer, gestreifter Schwanz war das Letzte, was sie von ihr sah. Jetzt war Berglind ganz alleine. Obwohl die Anwesenheit der Katze ihr nicht unbedingt ein Gefühl der Sicherheit gegeben hatte, war es angenehmer, ein lebendiges Wesen um sich zu haben. Berglind musste an ihr eigenes Leben denken, in dem sie ganz alleine mit dem Unbekannten konfrontiert war, jetzt, da Halli genug von ihrer Angst und ihrem ständigen Kopfzerbrechen hatte, obwohl er versuchte, das zu überspielen. Seit einiger Zeit hatte er angefangen, abends länger zu arbeiten, obwohl die Firma schon längst keine Überstunden mehr bezahlte und weniger Aufträge hatte. Berglinds Bemühungen, ihn von ihren Erklärungen zu überzeugen, hatten seit der Haussegnung immer weniger Erfolg. Er wollte, dass sie sich endlich zusammenriss und nicht länger grübelte. Je länger die unheimlichen Geschehnisse im Haus zurücklagen, desto mehr verblassten sie, und die ursprünglichen, nüchternen Erklärungen gingen ihm wieder durch den Kopf. Er war schon so weit, dass er die Hälfte der Dinge, die im Haus passiert waren, verleugnete und den Rest auf dessen Bauweise schob. Sämtliche Vorschläge, umzuziehen und woanders noch mal von vorne zu beginnen, waren zwecklos; zum momentanen Zeitpunkt ließen sich keine Häuser verkaufen, und es bestand wenig Hoffnung, dass sich das in der nächsten Zeit ändern würde. Als Berglind vorschlug, sie könnten zu ihren Eltern oder zu Freunden ziehen, bis der helle Sommer die dunkle Jahreszeit ablöste, schaute er sie an, als sei sie völlig naiv oder total verrückt. Sie wusste nicht, was besser war.
Ein kurzer, ungewöhnlich lauer Windstoß wirkte wie ein Hauchen an Berglinds Hals. Anstatt sie zu wärmen und ihr Kraft zu geben, verstärkte er den Gestank wieder. Vielleicht war er aber auch die ganze Zeit dagewesen. Wieder schien jemand in ihren Kragen zu hauchen, diesmal von hinten, und ihre Nackenhaare sträubten sich. Der Gestank wurde noch schlimmer. Berglind verdrängte den Gedanken an den Komposthaufen und kämpfte gegen die Übelkeit.
Eins, zwei, drei, umdrehen und ins Haus rennen. Eins, zwei, drei!
Immer noch stand sie reglos da.
Die nachmittägliche Dämmerung warf Schatten auf Berglinds Stiefelspitzen, näherte sich ihren Beinen und schien mit jeder Minute intensiver zu werden. Sie konnte doch nicht hierbleiben, bis der Garten in Dunkelheit gehüllt war. Bald musste sie Pési aus dem Kindergarten abholen. Selbst wenn sie ruhig stehen blieb, bis Halli nach Hause kam und sie rettete, hatte sie kein Handy bei sich, mit dem sie telefonieren und wegen des Jungen Vorkehrungen treffen konnte. Sie musste einfach reingehen.
Eins, zwei, drei.
Ihre Füße waren wie Blei. Angsthase, blöder Angsthase. Sie musste endlich losgehen. Ihre Gedanken machten alles nur noch schlimmer und verstärkten die Panik, die ihr Psychologe als Folge eines nicht
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