Feuerprinz
Umstehenden.
Immer mehr Sonnenstrahlen brachen durch die Wolkendecke, und mit ihnen offenbarte der Himmel einen seltsamen Anblick – Hunderte von geflügelten Kreaturen mit dem Kopf eines Vogels und dem Leib eines Raubtiers kreisten über ihnen. Jevana konnte es kaum glauben – es waren so viele!
»Das sind Greife … verwandelte Greife!«, rief einer der engilianischen Männer laut. Auch die Priesterinnen hoben ihre Köpfe und begannen Mut zu schöpfen. Beim Anblick des Greifenheeres riefen sie laut durcheinander. »Degan kommt! Lin hat es geschafft! Degan und seine Greife kommen, um Engil zu retten!«
Der Taluk warf einen verunsicherten Blick in die Runde, dann nickte er den wartenden Greifen zu. »Haltet sie auf und lasst die Schjacks in die Stadt!«
Ohne zu zögern, stiegen die Greife, angetan mit ihrem Silberschmuck und den Waffengürteln, in den Himmel. Jevana wusste jedoch, dass sie in dieser Schlacht nicht mit ihren Schwertern kämpfen würden. Ihre gefährlichsten Waffen waren die scharfen Klauen an ihren Schwingengelenken.
Erst als die Greife am Himmel schreiend und kreischend aufeinander zustürzten, wandte sich der Blutpriester wieder seiner eigentlichen Aufgabe zu und stellte mit fester Stimme klar: »Das Opfer muss trotzdem durchgeführt werden!«
Ein warmer Tropfen traf Jevana auf der Wange. Sie wischte ihn fort, und er hinterließ eine rote Schmierspur auf ihrem Handrücken. Verwundert runzelte sie die Stirn. Dann fielen immer mehr rote Tropfen vom Himmel. Es war ein Regen, dem niemand entging – ein Regen aus Blut und ausgerissenen Federn. Die Gewänder der Priesterinnen, ihr Haar und ihre Gesichter waren mit roten Spritzern und Federresten übersät. Der Anblick des Blutregens lähmte jeden einzelnen der Anwesenden. Es war das Blut der verletzten Greife beider Seiten – jeder wusste, dass am Himmel über ihnen ein erbitterter Kampf tobte.
Einer von Elvens Greifen stürzte vom Himmel genau in den Opferkreis, wo er in seltsam verdrehter Stellung liegen blieb – sein Kopf war halb von einem Schnabelhieb abgerissen worden, nur noch eines seiner blauen Augen starrte sie an. Das Gesicht war eine einzige rohe Fleischmasse, die bis zur Unkenntlichkeit zerhackt worden war. Auch eine Schwinge fehlte, die andere war blutgetränkt. Der Greif war eindeutig tot.
Dies war das unausgesprochene Zeichen für Jevanas und LinsMänner. Sie zogen fast gleichzeitig ihre Schwerter und riefen: »Für Sala … für Lin … für unsere Freiheit und für Engil!« Es war ein verzweifelter Ruf, mit dem sie gegenseitig an ihre Stärke und ihren Mut appellierten.
Kurz darauf starben Kämpfer beider Seiten. Männer schrien, Gliedmaßen wurden abgehackt, Bäuche mit dem Schwert durchbohrt und die Gedärme aus den noch lebenden Körpern gerissen – das grausame und verzweifelte Schlachten setzte sich am Boden fort, als gäbe es kein Morgen mehr. Jevana stand da und beobachtete den erbitterten Kampf.
Wird es nach solchen Grausamkeiten noch ein Morgen für Engil geben? Wird die Sonne noch so scheinen können, wie sie es immer tat … nach all dem Blut und der Grausamkeit, die sie mitansehen muss?
Jevana wich ein paar Schritte zurück, um nicht von einem Schwerthieb getroffen zu werden. Ihr wurde kurz schwindlig, und sie fiel in den blutigen Sand. Sie versuchte aufzustehen, doch ihre Knie zitterten. Das war doch purer Wahnsinn; einer von Elvens Männern biss keine zwei Schritte vor ihr wie ein wild gewordenes Tier einem anderen Mann die Nase ab, nachdem er ihn zu Fall gebracht hatte. Der Angegriffene schrie, als würde er am Spieß gebraten, und eine pulsierende Blutfontäne schoss aus seinem Gesicht und traf Jevana. Sie stand auf, wie an Fäden gezogen. Ihr Verstand war gelähmt von den grausigen Bildern.
Schließlich sprang sogar Elvens neuer Priester brüllend in die kämpfende Menge und schlug wild mit seinem Schwert um sich. Mochte er auch ein Priestergewand tragen, so war er im Herzen genau wie sein Sohn immer ein Taluk geblieben, der für rohe Gewalt und Kampf geboren schien. Das war der Augenblick, in dem Jevana erkannte, dass sie ihre Lähmung abschütteln musste. Eine bessere Gelegenheit würde es nicht geben!
Plötzlich standen die Priesterinnen im Opferkreis alleine da,und niemand kümmerte sich mehr um sie. Jevana überwand ihre Angst, um den Mädchen ein Zeichen mit der Hand zu geben.
Lauft!
, verhieß sie den verängstigten und blutüberströmten Mädchen stumm.
Lauft und versteckt euch, so lange der
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