Feuerprinz
Widerstand anhält!
Im Reich des dunklen Gottes
Lin hörte das Stampfen von Füßen, huschende Schritte und die Schreie von Frauen. Sie legte sich flach auf den Boden, in der Hoffnung, durch das Gitter zu sehen, was außerhalb des Tempels vor sich ging. Doch sie erkannte nur vorbeieilende Füße.
Rebellierten die Männer, die sie von Elvens Bann befreit hatte, gegen den dunklen Gott? Doch den Tumult draußen schien etwas anderes ausgelöst zu haben. Lin stand auf und zwang sich, alles, was außerhalb des Tempels geschah, zu ignorieren. Letzte Nacht, als die Priesterinnen fortgebracht worden waren, hatte sie einen Entschluss gefasst. Langsam streifte sie die Decke von den Schultern und schlüpfte aus dem Gewand, das man ihr gegeben hatte. Nackt trat sie vor die lodernde Feuerschale und verschränkte die Arme vor der Brust.
Sie dankte dem Schicksal dafür, dass Elvens Männer das Tempellager nicht leergeräumt hatten, so dass sie alles gefunden hatte, was sie für das Opferfeuer brauchte – Feuerkraut und Holzscheite. Noch einmal sah Lin hinüber zur Tempelpforte, die sie mit den Balken der Regale aus dem Tempellager verbarrikadiert hatte, damit niemand sie von ihrem Entschluss abhalten könnte. Dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf das Knistern der Flammen. Erst als die Geräusche von außerhalb des Tempels verstummt waren, blickte sie in das Feuer.
»Ich bin die Göttin, die durch das Feuer geht!«, rief sie laut, und dieses Mal brauchte sie nicht lange warten, bis die Flammen sichauseinanderbogen und jenen Kreis bildeten, durch den ihr Geist trat, während ihr Körper in Salas Tempel zurückblieb …
… Sie kannte diesen Ort und musste sich zwingen, nicht sofort umzukehren, als ihr klar wurde, dass alles hier enden sollte … wo es begonnen hatte. Wie beim ersten Mal stand sie in glühendem Sand, und die rote Sonne brannte am Himmel wie eine Kugel aus Feuer. Lin schloss die Augen und sammelte Kraft für ihren Weg. Sie hatte sich dazu entschieden, diesen Weg zu gehen, und es gab kein Zurück. Das Tempelfeuer hatte sie in die glühende Wüste aus ihrer ersten Vision geführt.
Ich habe es geschworen … ich werde Engil retten!
Sie wartete, bis sie ihre Angst bezwungen zu haben glaubte, und versuchte dann, das glühende Inferno zu überblicken. Sie war nicht allein. Ein schillernder und flirrender Punkt bewegte sich auf sie zu. Noch war er zu weit entfernt, als dass sie erkannt hätte, was oder wer es war. Das Grauen kroch ihr in den Nacken. Was, wenn
er
es war?
Seinetwegen bist du hier, also reiß dich zusammen!
Als die Gestalt näher kam, legte sich ihre Angst etwas. Wie die Kreatur sich bewegte, gebückt und langsam, als litte sie starke Schmerzen, ahnte Lin, dass es nicht der Gott sein konnte. Sie bemerkte, dass noch etwas anders war als in ihrer ersten Vision. Lin sah hinunter zu ihren Füßen; dieses Mal verbrannten sie nicht, noch hatte sie Schmerzen. Sala hatte den Weg zu ihr gefunden.
Dem anderen jedoch, der auf sie zukam, schienen die Schritte durch den glühend heißen Sand immer schwerer zu fallen. Als er nur noch wenige Schritte vor ihr stand, richtete der Fremde sich auf und sah sie an. »Belis nani, Göttin und Königin von Engil.«
Er bot einen grauenvollen Anblick – dieser verkohlte Mensch, den die Feuerwüste schrecklich zugerichtet hatte. Lin kannte seineStimme, auch wenn er kein Gesicht mehr besaß. »Braam? Wir dachten, du seiest tot.«
»Ich bin tot«, antwortete er flüsternd.
Lin betrachtete entsetzt die verkohlten Hautfetzen an seinen Armen und Beinen und seine verkohlten Füße, aus denen die blanken Knochen hervorragten. Sein Gesicht war eine schwarzrote Masse, die Augen waren milchig verfärbt. Die Haare standen Braam büschelweise von der blutig-rohen Kopfhaut ab, und der Knorpel seiner Nase war geschmolzen, so dass nur noch ein Loch klaffte, wo eigentlich die Nase hätte sein sollen. Statt eines Mundes besaß das Wesen, das einst ein ansehnlicher Mann gewesen war, nur noch eine Reihe gelbschwarzer Zähne.
Lin wandte ihren Blick ab. Braam konnte niemand mehr helfen, er hatte sich sein Schicksal selbst ausgesucht, als er sich dem Blutgott angeschlossen hatte. »Ich suche Elven.«
Wieder flüsterte er mit heiserer Stimme. »Es war ein Fehler von dir, zu kommen …
Er
wird dich nicht wieder fortlassen, ebenso wenig wie alle anderen, die aus freiem Willen sein Reich betreten oder sich ihm anschließen. Ich habe mich ihm entgegengestellt, und dies ist meine
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