Feuerregen (Billy Bob Holland) (German Edition)
auf die Toilette gehen.
»Ich komm mit«, sagte Lucas.
»Nein«, erwiderte sie.
»Du bist Jeff zu nichts verpflichtet. Red nicht mit ihm«, sagte Lucas.
Sie legte den Kopf schief, tat so, als ziehe sie einen Flunsch.
»Der taugt nichts, Essie«, sagte Lucas.
»Nun hör schon auf. Ich bin gleich wieder da«, sagte sie.
Sie ging auf den Imbissstand zu, unmittelbar an Jeffs gelbem Kabrio vorbei. Sie trug ein enges weißes Kleid mit Rüschen am Saum und am Halsausschnitt, durch die ein scharlachrotes Band gefädelt war. Rita Summers saß am Steuer und aß Pommes frites aus einer Pappschale. Jeff hatte ein Glas Bourbon mit Eis in der Hand. Er blickte Esmeralda hinterher, stierte auf ihre Haare, die um die Schulterblätter wogten, ihren Hüftschwung.
Er stellte das Glas auf dem Armaturenbrett ab, stieg aus und folgte ihr.
Sie hörte, wie hinter ihr die Sohlen seiner Slipper über die Schieferplatten scharrten. Sein Gesicht war vom Alkohol aufgeschwemmt, großporig und voller Schweißtropfen.
»Geh nach Hause, Jeff. Ruh dich aus«, sagte sie.
»Lass Smothers sausen. Wir kommen schon wieder miteinander klar«, sagte er.
»Du musst dir helfen lassen. Probier’s mal mit ’ner Therapie. Was vergibst du dir denn dabei, Schatz? Du erfährst allerhand über dich und siehst hinterher manches ein bisschen anders.«
»Hör mir lieber zu, Essie. Du und Smothers, und dazu dieser Ronnie Cruise, ihr habt mich angeschissen. Vor allen anderen. Da bleiben einem nicht allzu viele Möglichkeiten übrig. So ist das halt. Sogar Ronnie weiß das.«
»Du wirst meiner Meinung nach draufgehen, wenn du dir nicht helfen lässt.«
»Anfangs war das doch richtig klasse mit uns. Wir kriegen das wieder hin. Willst du’s genau wissen? Ich habe noch nie ein Mädchen wie dich gehabt.«
»Genau das ist es ja, Jeff. Du sammelst Mädchen. Aber du liebst sie nicht. Du kannst es nicht, weil du dich selber nicht liebst.«
Er blickte ins Leere. Wischte sich mit dem Unterarm die Nase ab. Einen Moment lang schien er das Gleichgewicht zu verlieren, dann fing er sich wieder. »Ich habe dir eine Chance gegeben. Aber du willst ja nicht hören. Muss am Bohnenfressererbteil liegen. Ihr seid ja alle unbelehrbar«, sagte er.
Sie wandte sich ab und ging zur Damentoilette. Ein paar Minuten später kam sie wieder an dem Kabrio vorbei, den Blick auf die Leinwand gerichtet, das weiße Kleid in Licht getaucht. Jeff musterte sie, während er mit beiden Händen das Bourbonglas ansetzte.
»Du schlürfst wie ein Schwein. Vielleicht solltest du dich wieder mit der Schnecke aus dem sonnigen Süden zusammentun«, sagte Rita.
Jeff nahm ihr die Pappschale mit den Pommes aus der Hand und drückte sie ihr ins Gesicht, verschmierte ihr die Augen, die Haare und die Bluse mit Ketchup, Salz und Kartoffelbrei, während sie blindlings mit den Fäusten auf ihn eindrosch und mit dem Ellbogen auf die Hupe hämmerte.
Am Sonntagmorgen stieg Skyler Doolittle einen mit Bäumen bestandenen Hang hinauf, setzte sich auf einen Felsblock, der mit Flechten überwuchert war, und las in einer Gideon-Bibel. Die Blätter der Bibel waren voller Wasserflecken, der Pappeinband war verblichen wie mit Milch verdünnte Tinte. Die Sonne stand noch hinter der Hügelkuppe, und der Wald war dunstig und feucht, in ein kaltes grünes Licht getaucht, das eher vom Fluss aufzusteigen als vom Himmel zu kommen schien.
Jessie Stump, ohne Hemd, den Gürtel hoch um die knochigen Rippen geschnallt, stand vor einem Schuppen, der früher als Futterkrippe für Schalenwild gedient hatte, beugte sich über eine Schüssel voll Wasser und rasierte sich ohne Seife. Er hatte ihre Töpfe und Pfannen, die Decken und Landkarten, ihre Kleidung und Lebensmittel in einem Seesack verstaut. An seinem Gürtel hing ein schweres, gezahntes Jagdmesser, dessen Schneide so scharf geschliffen war, dass sie jedes Mal das Leder oben anritzte, wenn er es zückte oder wieder in die Scheide schob.
Jessie wischte sich mit dem Arm das Gesicht ab, kauerte sich neben eine Landkarte und zählte ihre Barschaft darauf ab. Zweiunddreißig Dollar und elf Cent waren noch von dem Geld übrig, das Skyler von Billy Bob Holland bekommen hatte. Jessie schaute auf die Karte und musterte die Striche, die er mit Bleistift neben den Straßen gezogen hatte, die zur Matagorda Bay führten, den Meerbusen, über den er »Cousin Tysons Krabbenkutter« geschrieben hatte, so als hätten sie den langen Weg bereits zurückgelegt und wären übers Meer
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