Feuersang und Schattentraum (Die Sumpfloch-Saga) (German Edition)
beschäftigt, in die Tiefe zu starren, wo die süß schielende Niobe gerade so tat, als würde sie Gerald einen Fussel vom Ärmel zupfen.
„Du, Maria“, sagte Berry, „wollten deine Eltern heute vorbeikommen?“
„Nein, wieso?“
Berry widmete der Brücke und all den Kutschen, Wägen und Flugwürmern, die davor hielten, besondere Aufmerksamkeit. Bisher war ihr Onkel Finno nicht erschienen. Wenn er sie wirklich hätte abholen wollen, wäre er wahrscheinlich schon am Morgen in Sumpfloch aufgetaucht. Sie traute sich noch nicht, aufzuatmen, war aber sehr hoffnungsvoll. Jedenfalls entdeckte Berry auf diese Weise die Mietkutsche, aus der Marias Eltern stiegen, als Erste.
„Dieses Pärchen da unten sieht mir sehr nach deinen Eltern aus!“
„Oh nein!“, rief Maria, als hätte ihr Berry gerade zwei giftige Wandler angekündigt. „Bitte nicht!“
„Ja, das sind sie!“, rief Thuna. „Arme Maria! Und ich fürchte, ich muss heute schon wieder unter Beweis stellen, wie fies ich bin. Ich werde sie nicht begrüßen, sondern einen großen Bogen um sie machen!“
Maria hörte es kaum. Sie schaute fassungslos aus dem Fenster. Natürlich liebte sie ihre Eltern. Sie liebte sie wirklich. Aber die Auftritte der Montelago Fenestras an öffentlichen Orten waren an Peinlichkeit nicht zu überbieten. Musste das sein? Musste das ausgerechnet jetzt sein?
Maria rannte los, in der Hoffnung, dass sie ihre Eltern noch vor der Brücke abfangen oder doch wenigstens an einen Ort lotsen könnte, an dem nicht jeder mitbekam, was ihre Eltern so an Bemerkungen losließen. Doch Maria hatte kaum den Innenhof erreicht, da kamen sie schon durch die Toreinfahrt gelaufen mit Tausenden Paketen in und an den Armen und Marias Vater schrie über Dutzende von Schülern hinweg:
„Maria, Täubchen, guck mal, was wir dir mitgebracht haben!“
Das Täubchen wäre am liebsten im Boden versunken. Warum rückten sie mit so vielen Geschenken an, an einem Ort, an dem die meisten Schüler kaum eine Hose zum Wechseln besaßen?
„Papa, Mama“, sagte sie gehetzt, als sie bei den beiden ankam. „Wollt ihr nicht reinkommen? Wir suchen uns eine stille Ecke …“
„Lass dich umarmen, mein Täubchen!“, rief Alban von Montelago Fenestra. „Was haben wir dich vermisst! Als sie dir aus Versehen eine Einladung zum Schulbeginn geschickt haben, dachten wir, wir kommen einfach vorbei, um dich zu sehen!“
„Ja … tolle Idee.“
„Abgemagert siehst du aus, Liebchen“, sagte Grazia von Montelago Fenestra. „Du musst unbedingt mehr essen!“
„Haben sich die Nachhilfestunden gelohnt?“, fragte Marias Vater. „Bist du jetzt besser in der Schule?“
„Doch, ich glaube schon.“
„Schau mal, das sind alles Mitbringsel für dich!“, rief Grazia und stapelte die vielen Pakete für Maria mitten im Hof vor ihren Füßen auf. „Pack sie aus! Los, los!“
Maria wusste, es war nur gut gemeint. Ihre Mutter wollte ihr eine Riesenfreude machen. Etwas verzweifelt schnürte sie das erste Paket auf, aus dem sie einen sündhaft teuren Seidenschal zog. Der Schal war hübsch, wirklich, aber er passte überhaupt nicht in diese Umgebung. Gut, die Zeiten, in denen man Maria ihre Sachen aus den Händen gerissen und sich darum geprügelt hatte, waren vorbei. Niemand machte Anstalten, ihr eins der hübsch verpackten Pakete zu stehlen. Doch sie spürte viele neidvolle Blicke auf sich ruhen und das war ihr sehr unangenehm.
„Er fühlt sich gut an“, sagte Maria beklommen. „So weich.“
„Der letzte Schrei aus Tolois! Mit eingewobenen Silberfäden. Der wird dir gut stehen. Leg ihn dir mal um! Ich dachte, das brauchst du jetzt im Herbst. Du verkühlst dich doch so leicht!“
Gerald kam jetzt mit seinen Freunden und den Rhondas und Niobes in den Innenhof und stutzte kurz, als er Maria mit ihren Eltern und dem Berg von Paketen sah.
„Los, Täubchen!“, rief Alban von Montelago Fenestra. „Da sind noch mehr Pakete zum Auspacken. Willst du nicht … wo schaust du denn hin?“
Er drehte sich auffällig um und Marias Mutter folgte seinem Blick.
„Oh, wer ist denn der nette Junge da, Maria? Er sieht nicht so schrecklich arm aus wie all die anderen!“
Grazia von Montelago Fenestra hatte eine durchdringende Stimme. Obwohl sie sich bemühte, leise zu reden, verstand man sie auch im letzten Winkel des Innenhofs klar und deutlich. Maria schämte sich.
„Das ist Gerald Winter“, sagte sie, „der Sohn von unserem Geschichtslehrer.“
Dabei sah sie, wie Gerald
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