Feuerscherben
Marmeladentörtchen waren köstlich«, fügte Claire hinzu. »Ich verstehe nicht, wie ich so lange ohne sie auskommen konnte.«
Bainbridge lächelte nachsichtig. »Ich freue mich, dass sie Ihnen geschmeckt haben, Miss.« Er hob das Tablett auf und nickte Roger höflich zu. »Guten Morgen, Mr. Roger. Darf ich Ihnen frischen Kaffee bringen?«
»Nein, danke. Ich werde mich niemals an dieses Gebräu gewöhnen.« Roger lachte leise. »Wahrscheinlich hat Sharon mich zu sehr mit ihrer Kochkunst verwöhnt. Besuche bei Dad sind neuerdings ein echtes Vergnügen.«
Der Butler stellte Claires Teller geschickt auf das schwere Tablett. »Ich bin sicher, dass Sharon Sie verwöhnt«, erklärte er streng. »Soweit ich weiß, ist sie eine ausgezeichnete Köchin.« Auf der Schwelle drehte er sich noch einmal um und wandte sich an Evelyn. »Wie viele Personen werden zum Lunch anwesend sein, Madam?«
»Alle drei«, antwortete Evelyn. Roger protestierte sofort und wies darauf hin, dass sie schnellstens zum Flughafen müssten. Doch sie schüttelte den Kopf. »Nein, Roger. Ich komme mit nach Florida. Aber vorher möchte ich mich noch mindestens zwei Stunden mit meiner Tochter unterhalten. Wir haben eine Menge aufzuholen.«
»Natürlich«, erklärte Roger. »Nichts ist jetzt wichtiger, als dass du genügend Zeit bekommst, um mit Claire zu plaudern.« Er lächelte und schien nicht zu merken, dass seine Worte auch als Spott ausgelegt werden konnten. Einen Moment staunte Claire, wie sehr er seinem Vater ähnelte. Dann bot er Mutter und Schwester den Arm und sagte: »Wollen wir der Feuchtigkeit trotzen und auf den Balkon gehen?«, schlug er vor. »Es hat etwas ungeheuer Dekadentes, hoch über dem Verkehr mitten in Manhattan zu sitzen und von Blumen und Bäumen umgeben zu sein.«
Evelyn lachte leise. »Bisher hat noch kein Mensch meine Terrasse als dekadent bezeichnet«, meinte sie. »Das wirft ein ganz neues Licht auf meine Topfpflanzen.«
Roger hob ihre Hand und küsste sie galant. »Dafür sind Söhne da. Sie sollen ihren Müttern helfen, die Dinge in einem neuen, erheblich interessanteren Licht zu sehen.«
Evelyn streichelte seine Wange mit den Fingerspitzen und setzte sich auf eine weiße Korbliege. »Also, bis zum Lunch bleibt uns noch eine Stunde«, sagte sie und wandte sich an Claire. »Erzähl mir von dir. Ich möchte alles wissen, was du die letzten sieben Jahre getrieben hast.«
»Du liebe Güte, lass ihr noch eine Chance!«, rief Roger entsetzt. »Keine Tochter möchte ihrer Mutter alles erzählen.«
Lächelnd tätschelte Evelyn Claires Hand. »Also gut. Ich begnüge mich mit einer bereinigten Version für ahnungslose Eltern in mittleren Jahren.«
»Wo soll ich anfangen?«, fragte Claire. »Sieben Jahre sind eine lange Zeit.«
»Wir wissen bereits, dass du in New York warst und dein Bankkonto aufgelöst hast. Einer der Privatdetektive, die wir eingeschaltet hatten, fand heraus, dass du im Krankenhaus warst, wo deine Brandwunden behandelt wurden. Anschließend verlor sich deine Spur. Erzähl mir, was passiert ist, nachdem deine Wunden geheilt waren und du entlassen wurdest.« Claire verzog das Gesicht. »Die nächsten drei Wochen schlug ich mich allein durch. Anschließend ging ich freiwillig in die geschlossene psychiatrische Abteilung eines Krankenhauses in New Jersey.«
»Weshalb in New Jersey?«, fragte Roger. »Gab es einen besonderen Grund dafür?«
»Nein. Ich war zufällig dort, als mir klar wurde, dass ich jeden Moment verrückt werden konnte. Ich hatte so schreckliche Albträume, dass ich mich nicht mehr hinlegen und die Augen schließen mochte. Nach einundzwanzig Tagen buchstäblich ohne Schlaf, setzte bei mir ein, was der Psychiater in der Aufnahme höflich als,psychotische Zustände’ umschrieb.«
Evelyn murmelte einige mitfühlende Worte, und Roger ging in die Ecke des Balkons und blickte über die Fifth Avenue und den Central Park.
Claire erzählte gerade von dem Apartment, in dem sie zusammen mit Dianna Mason gewohnt hatte, da kam Bainbridge und verkündete, der Lunch sei serviert.
Roger blickte immer noch über den Central Park.
15. KAPITEL
Ben rief am Freitag gegen Mittag aus Pittsburgh an und versprach, abends in Boston zu sein. Claire hatte es aufgegeben, so zu tun, als wäre der Mann ihr gleichgültig. Sie hoffte nur, dass sie nicht ganz so freudig erregt klang, wie sie war.
»Du solltest übrigens heute Abend die Nachrichten einschalten«, sagte Ben, bevor er auflegte. »Roger hat vor einigen
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