Feuerscherben
muss.«
»Und wer soll heute in den Genuss dieses Prachtexemplars kommen?«, fragte Evelyn lächelnd. »Ich hoffe, niemand von uns, nachdem du spontan hierher geflogen bist.«
»Nein, er ist für Dad und sein Wahlkampfteam bestimmt«, antwortete Roger, und seine Miene wurde ernst. »Ich fliege heute Abend zu ihm nach Palm Beach. Die Nachrichten von dort klingen nicht gut.«
»Bevor er das Haus verließ, sagte Andrew, er wolle seine Mannschaft zu einer Bestandsaufnahme einladen, um festzustellen, welche Wirkung das elende Interview mit Steve Sterne auf die Wählermeinung in Florida hat«, erzählte Evelyn.
»Ja, die Leute haben rund um die Uhr gearbeitet, eine Telefonbefragung durchgeführt und so weiter.« Roger räusperte sich verlegen. »Dad bat mich, zu ihm zu kommen, weil er wahrscheinlich seine Kandidatur zurückziehen muss.«
»O nein!«, rief Evelyn entsetzt. »Es wäre entsetzlich, wenn ein Ereignis, das ein Vierteljahrhundert zurückliegt, Andrews Wahlkampf beenden würde. Er hat so viel für die Öffentlichkeit getan.«
Roger trat von einem Fuß auf den anderen, und Claire merkte, dass ihm die Unterhaltung ziemlich peinlich war. Das war nicht verwunderlich. Sie hatte nicht bedacht, was Roger empfinden würde, als sie Andrews Sturz plante. Zu spät wurde ihr bewusst, wie schrecklich die Nachricht für einen jungen Mann sein musste, dass der eigene Vater homosexuell oder zumindest bisexuell war.
»Der Gedanke an Homosexualität ist der amerikanischen Öffentlichkeit unangenehm«, stellte Roger fest und wirkte selber nicht besonders selbstbewusst. »Die neuesten Wählerumfragen sind – äh – ziemlich katastrophal für Dad ausgefallen.«
»Die ersten Reaktionen haben nicht immer Bestand«, erinnerte Claire ihren Bruder. »Der Trend kann sich umkehren.«
Roger schüttelte den Kopf. »Im Moment hat es den Anschein, als ginge es stetig abwärts.«
»Es ist ein wahrer Jammer«, sagte Evelyn erbost. »Andrew hat vor langer Zeit einen einzigen Fehler begangen, und der löscht alles aus, was er seitdem geleistet hat. Niemand in unserem Land besitzt so viele praktische Kenntnisse in der Grundstückserschließung wie er. Er wäre ein fabelhafter Gouverneur für Florida, vor allem weil das Thema Landnutzung hier solch eine große Bedeutung hat.«
»Und du warst eine noch tollere Gouverneursfrau«, fügte Roger hinzu.
»Ehrlich gesagt, daran hat mir noch nie gelegen. Persönlich entgeht mir bestimmt nichts. Ich habe schon immer lieber hinter der Bühne gearbeitet.«
Roger trommelte mit den Fingern auf eine Kommode.
»Was meinst du, Mutter? Sollte man versuchen, Dad zu überreden, den Wahlkampf fortzusetzen?«
»Nur wenn er selber das dringende Bedürfnis dazu verspürt«, erwiderte Evelyn. »Machen wir uns nichts vor. Die Presse wird ihm keine Ruhe lassen, wenn er nicht zurücktritt. Wahrscheinlich wird sie alles daran setzen, die schwierige Wahl, vor der Andrew während Jordan Edgars Kriegsgerichtsprozess stand, herunterzuspielen.« Sie starrte die Kaffeekanne an, ohne sie zu sehen. »Armer Andrew. Ich muss ihn unbedingt anrufen.«
»Komm doch mit nach Florida, anstatt zu telefonieren«, schlug Roger vor. »Dad kann im Moment jede Unterstützung brauchen. Es wird gewiss weniger widerlichen Klatsch geben, wenn du an seiner Seite stehst, während er seinen Rücktritt erklärt.«
»Das wäre vielleicht nicht schlecht«, meinte Evelyn unsicher.
»Aber Claire und ich wollten diesen Tag eigentlich gemeinsam verbringen.«
»Mach dir meinetwegen keine Sorgen«, sagte Claire rasch. »Ich kann ebenso gut früher nach Boston zurückkehren. Flieg ruhig nach Florida, falls Andrew dich braucht.« Weshalb nicht, dachte sie spöttisch. Sollen sich alle um das arme Opfer scharen, das diese Situation angeblich nicht verdient hat.
Evelyn war innerlich hin- und hergerissen. Roger redete ihr weiter zu. Endlich erklärte sie sich bereit, Claire nächste Woche in Boston zu besuchen und auf die Sitzung des Beirats der Metropolitan Opera am nächsten Donnerstag zu verzichten. Auf diese Weise hatte sie Zeit genug, um Roger nach Florida zu begleiten.
Claire empfand durchaus nicht jenen Triumph, den sie erwartet hatte. Sie faltete die Hände auf dem Schoß und lauschte der Unterhaltung zwischen ihrer Mutter und ihrem Bruder, die einem Totengeläut für die politische Karriere ihres Vaters ähnelte. Sie hatte Andrew Campbell auf die schlimmste Weise öffentlich demütigen wollen. Und es schien ihr gelungen zu sein. Weshalb
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