Feuerscherben
was hattest du eigentlich vor?«, fragte Sonya. »Weshalb hast du Hal Doherty nicht gesagt, dass du die echte Claire Campbell bist, als du ihn auf meiner Party kennenlerntest? Du liebe Güte, der arme Kerl hat zwei Monate lang Tag und Nacht versucht, dir die Rolle einer Frau beizubringen, die du selber bist! Hast du eine Vorstellung davon, wie verrückt das klingt? Weshalb in aller Welt hast du mir nicht erzählt, was los war?«
»Ich konnte es nicht.«
»Ehrlich gesagt, ich bin ziemlich sauer auf dich. Angeblich sind wir Freundinnen. Ich dachte, du vertrautest mir.«
»Wir sind Freundinnen, Sonya. Und ich vertraue dir.« Claire beugte sich vor. »Bitte, sei nicht gekränkt. Ich konnte dir einfach nicht die Wahrheit sagen. Wenn du eine Weile darüber nachdenkst, verstehst du bestimmt, weshalb nicht.«
»Ich denke darüber nach, und ich verstehe es nicht.«
»Nach so vielen Jahren als Dianna Mason war ich davon überzeugt, dass ich nur in Sicherheit wäre, solange ich an dieser Rolle festhielt.«
»Weshalb hast du dann bei Hal Dohertys dummen Machenschaften mitgemacht? Wieso bist du bis ins Herz des Campbell-Clans vorgedrungen und hast behauptet, Claire zu sein, wenn du unbedingt Dianna Mason bleiben wolltest? Falls du plötzlich das dringende Bedürfnis verspürtest, an dein Erbe heranzukommen, hättest du doch nur offiziell wieder aufzutauchen und zu sagen brauchen: ›Hallo, Leute. Ich habe eine gute Nachricht für euch. Eure verschollene Tochter ist zurückgekehrt.‹ Du bist es ja wirklich. Wozu dann die ganze unsinnige Maskerade?«
»Ich wollte am Leben bleiben«, antwortete Claire tonlos. Ungeduldig warf Sonya ihr kurzes Haar zurück. »Indem du direkt in das Haus jenes Mannes spaziertest, den du in Verdacht hattest, dich ermorden zu wollen?«
»Es schien mir nicht weiter schlimm zu sein«, erklärte Claire. »Ich ging davon aus, dass Andrew kein mordlustiger Wahnsinniger ist, sondern sich seine Opfer sorgfältig auswählt.«
»Was hat das mit deinem Entschluss zu tun, bei Hal Dohertys Machenschaften mitzumachen?«
»In den letzten sieben Jahren waren Dutzende von Betrügerinnen bei den Campbells aufgetaucht und hatten Anspruch auf mein Erbe erhoben«, erzählte Claire. »Mindestens sechs von ihnen waren mir so ähnlich, dass sie zu einem persönlichen Gespräch mit Hal Doherty, Ben Maxwell oder sogar einem Familienmitglied eingeladen wurden. Keine dieser Schwindlerinnen war ums Leben gekommen. Sie wurden verhaftet und wegen Betrugs angeklagt. Ich nahm an, Andrew wollte seinen Lebensweg nicht mit unzähligen Leichen von angeblichen Claire Campbells pflastern. Deshalb betrachtete ich es als meinen besten Schutz, wenn ich einige Zweifel an meiner Herkunft ließ.«
»Das ist die blödeste Begründung, die ich je gehört habe, Kindchen.«
»Es hat geklappt, nicht wahr? Ich bin noch da. Und Andrew ist nicht mehr auf dem besten Weg, Gouverneur von Florida zu werden, was größtenteils dir zu verdanken ist.«
»Ja. Nur bin ich nicht sicher, ob ich einen Dank für meine Rolle in diesem Drama möchte«, antwortete Sonya. »Sollte Andrew ein Mörder sein, wäre ich die Erste, die ihn ans Messer liefern würde. Die Tatsache, dass er homosexuell ist, macht ihn in meinen Augen nicht zwangsläufig untauglich für ein öffentliches Amt.«
»Das ist richtig«, stimmte Claire ihr zu. »Ich fürchte, in diesem Fall hat die Öffentlichkeit die richtige Entscheidung aus falschen Gründen getroffen.«
Sonya steckte die beinahe noch vollen Schachteln in die braune Papiertüte zurück. Dann sah sie auf und blickte die Freundin prüfend an. »Weißt du was? Eigentlich überrascht es mich gar nicht, dass du Claire bist. Deine Gefühle gegenüber Andrew Campbell sind viel zu stark, um aus zweiter Hand zu stammen und von einer Zimmerkameradin übernommen zu sein. Du verabscheust ihn mit einer Inbrunst, die man nur gegenüber einem Familienmitglied aufbringt, das einem sehr wehgetan hat.«
»Das klang, wie aus tiefster Seele gesprochen«, murmelte Claire.
»Ja.« Sonya steckte die braune Tüte in ihren überquellenden Papierkorb und richtete sich wieder auf. »Ich hatte gestern Abend ein erstaunliches Telefongespräch. Mein Bruder rief mich aus Wyoming an.«
Claire sah die Freundin überrascht an. »Ich hoffe, er hatte keine schlechte Nachricht für dich.«
»Nein. Es ging um Hal Doherty. Mein Bruder und er kannten sich gut. Sie spielten im selben Football-Team, obwohl mein Bruder drei Jahre älter war als Hal.«
»Du
Weitere Kostenlose Bücher