Feuerscherben
Überraschung, Komm herein.«
»Danke.« Er trat ein, und sie schloss die Tür hinter ihm.
»Ich habe leider eine schlechte Nachricht für dich«, sagte er. »Ben kann heute Abend nicht kommen, jedenfalls nicht vor Mitternacht. Stattdessen hat er mich geschickt, falls es dir recht ist.«
»Es ist mir mehr als recht. Ich bin riesig froh, dass du da bist«, antwortete Claire. Sie freute sich aufrichtig, dass der Bruder zu ihrem Schutz gekommen war. Deshalb verdrängte sie ihre Enttäuschung darüber, dass Ben keine Zeit hatte, und umarmte ihn herzlich. Entschlossen schob sie ihn in die Wohnecke ihres Ateliers.
»Bist du gerade von Pittsburgh herübergeflogen? War es sehr voll?«, fragte sie.
»Wie in einer Sardinenbüchse. Du weißt ja, wie es freitagnachmittags in den Flugzeugen aussieht.«
»Schlimm«, stimmte sie ihm zu. »Hast du Hunger? Ich konnte dir ein Sandwich oder etwas anderes machen.«
»Nein, danke. Aber ein Drink wäre nicht schlecht.«
»Natürlich. Kommt sofort.« Claire lachte verlegen. »Es ist seltsam, nicht wahr? Ich spiele die Gastgeberin für meinen Bruder und habe keine Ahnung, was du gern trinkst.«
»Ich bin nicht besonders anspruchsvoll«, antwortete Roger und grinste jungenhaft.
Sie lächelte zurück. »Das freut mich. Also, ich habe eine Flasche Chablis im Kühlschrank, außerdem Cola, Mineralwasser und frischen Zitronensprudel. Du hast die Wahl.«
»Den Zitronensprudel, bitte«, sagte er. »Ich musste mich ziemlich beeilen, um die Maschine in Pittsburgh zu bekommen, und bin immer noch ein bisschen erhitzt.«
»Nimm die Krawatte ab, und gibt mir dein Jackett.«
Roger zog die Krawatte vom Hals, warf sie über eine Stuhllehne und öffnete die Knöpfe seines Hemdkragens. »Danke, so ist es erheblich besser. Die Jacke macht mir nichts aus.« Er stand auf, ging zu ihrer Werkbank und strich bewundernd mit den Fingern über die facettierten Briefbeschwerer.
»Faszinierend, wie unterschiedlich sich das Licht in dem Schliff bricht, je nachdem, aus welcher Richtung es fällt«, stellte er fest. »Sie sind entzückend, Claire.«
»Danke.« Claire freute sich aufrichtig über sein Kompliment. »Der halbe Spaß an der Arbeit besteht darin, ein Muster zu entwerfen, das interessante Lichtbrechungen erzeugt.« Sie füllte zwei Gläser mit Zitronensprudel und reichte ihm eines.
»Es muss ein sehr befriedigendes Hobby sein«, sagte er und trank gierig. »Hm, tut der Sprudel gut.«
»Ich freue mich, dass er dir schmeckt. Frischen Sprudel trinke ich in dieser Jahreszeit am liebsten.« Ihre Arbeit als Hobby zu bezeichnen war eine himmelschreiende Beleidigung. Doch um des lieben Familienfriedens willen verzichtete Claire auf eine entsprechende Antwort.
Roger stellte sein Glas ab und betrachtete eingehend die Kristallschale, die sie morgens graviert hatte. »Dies ist auch ein interessantes Muster«, meinte er. »Es ist abstrakter als das deiner meisten Arbeiten. Das Kelchglas mit dem Efeumuster hat mir gut gefallen.«
»Ja, das Muster ist abstrakter«, stimmte Claire ihm zu. »Aber es ist nicht völlig gegenstandslos. Das Hauptmotiv besteht aus einem Rosenblatt.«
Roger beugte sich hinunter, um die Schale genauer zu betrachten. »Richtig. Nachdem du es gesagt hast, sehe ich es auch. Allein wäre ich niemals darauf gekommen.« Er lachte verächtlich. »Ich fürchte, du hast die gesamte künstlerische Begabung der Familie geerbt, Claire. Ebenso wie das meiste Geld.«
Claire sah ihren Bruder erschrocken an. Sie schluckte heftig, und der Zitronensprudel schmeckte plötzlich sauer. »Hör mal. Woher weißt du eigentlich, dass das Muster auf dieser Schale abstrakter ist als bei meinen meisten anderen Arbeiten? Und woher kennst du das Kelchglas mit dem Efeumuster?«
Langsam drehte er sich zu ihr. »Ich nehme an, Ben hat es mir beschrieben.«
»Nein, das ist nicht möglich.« Claire hatte Mühe, zusammenhängend weiterzusprechen. »Ben hat das Glas nie gesehen. Es war schon zerbrochen, als er mich das erste Mal in meinem Atelier besuchte. Alle meine Glasarbeiten waren gerade zerstört worden.«
»Tatsächlich?« Roger ließ sich von ihrer Aufregung nicht beirren. »Lass mich nachdenken. Wo könnte ich das Kelchglas sonst gesehen haben?« Er heuchelte Erstaunen, doch sein Spott war kaum zu überhören.
Claire stellte ihr Sprudelglas auf die Anrichte und begann vor Schreck, Wut und der entsetzlichen Erkenntnis, erneut getäuscht worden zu sein, zu zittern. »Du hast es gesehen, weil du schon früher
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