Feuersee
ich mir der
Tatsache
völlig sicher wäre. Ich möchte es der
Weisheit und dem Feingefühl Eurer Hoheit
anheimstellen, zu beurteilen, ob die Öffentlichkeit davon
erfahren sollte.«
Er mustert mich unwillig. »Worum handelt es
sich, Baltasar? Noch eine Theorie?«
»Ja, Sire. Noch eine Theorie –
über den Koloß.
Meine Studien haben ergeben, daß die Kolosse von den Alten
für die Ewigkeit
geschaffen wurden. Die Magie der Kolosse, Majestät, kann
unmöglich versagen.«
Der König hebt aufgebracht die Hände.
»Ich habe
keine Zeit für Spiele, Nekromant. Ihr selbst habt gesagt,
daß die Kraft der
Kolosse zur Neige geht …«
»Ja, Majestät, das habe ich in der Tat
gesagt.
Und ich bin überzeugt, daß es so ist. Aber
vielleicht habe ich mich falsch
ausgedrückt. ›Versagen‹ ist
womöglich nicht das richtige Wort, Sire,
›Sabotage‹
trifft es genauer.«
Der König starrt mich an, dann schüttelt er
den
Kopf. »Komm, Edmund«, sagt er und winkt seinen Sohn
mit einer knappen Geste zu
sich. »Wir gehen jetzt zu deiner Mutter.«
Der Junge kommt gelaufen. Vater und Sohn gehen
aus der Tür.
»Sire!« rufe ich, und der dringliche Ton
meiner
Stimme veranlaßt den König, nochmals stehenzubleiben
und zu warten. »Ich
glaube, daß irgendwo, in den Höhlen unter Kairn
Telest, irgend jemand einen
hinterlistigen Krieg gegen uns führt. Und wir werden
unterliegen, außer wir tun
etwas, um dem ein Ende zu bereiten. Man wird uns besiegen, ohne auch
nur einen
Pfeil von der Sehne zu schnellen oder eine Lanze zu werfen. Irgend
jemand,
Sire, stiehlt die Wärme und das Licht, die uns am Leben
erhalten!«
»Aus welchem Grund, Baltasar? Was ist das Motiv
für diesen heimtückischen Plan?«
Ich überhöre den Sarkasmus des
Königs. »Um es
für sich selbst zu nutzen, Sire. Auf dem Weg zurück
nach Kairn Telest habe ich
lange und angestrengt darüber nachgedacht. Was passiert, wenn
Abarrach stirbt?
Was, wenn das Magmaherz schrumpft? Ein Staat könnte es
für geboten halten,
seine Nachbarn zu berauben, um das eigene Überleben zu
sichern.«
»Ihr seid verrückt, Baltasar«,
sagt der König.
Er hat seinem Sohn die Hand auf die magere Schulter gelegt und schiebt
ihn vor
sich her, doch Edmund schaut mit großen, erschreckten Augen
über die Schulter
zu mir zurück. Ich erwidere seinen Blick mit einem
beruhigenden Lächeln, das
erlischt, sobald er aus der Tür ist und mich nicht mehr sehen
kann.
»Nein, Sire«, sage ich zu den Schatten,
»ich bin
nicht verrückt. Ich wünschte, ich wäre
es.« Ich reibe mir die Augen, die vor
Übermüdung brennen. »Es wäre viel
leichter …«
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Kapitel 2
Kairn Telest,
Abarrach
Edmund ist allein, als er in der Tür zur
Bibliothek erscheint, wo ich sitze und das Gespräch
niederschreibe, das eben
zwischen Vater und Sohn geführt wurde, wie auch die
Erinnerungen an längst
vergangene Zeiten. Ich lege den Stift nieder und erhebe mich
respektvoll von
meinem Sessel vor dem Schreibtisch.
»Euer Hoheit. Bitte tretet ein und seid
willkommen.«
»Ich störe Euch nicht bei der
Arbeit?« Er
verharrt unschlüssig am Eingang. Ihm ist anzusehen,
daß ihn etwas quält, daß er
reden möchte, jedoch sein Unbehagen rührt daher,
daß er nicht hören will, was
ich zu sagen habe.
»Ich bin soeben fertig geworden.«
»Mein Vater geht zu Bett«, sagt Edmund
übergangslos. »Ich habe seinem Diener befohlen, ihm
einen heißen Trank zu
bereiten. Er könnte sich erkältet haben,
draußen, vor dem Palast.«
»Und welche Entscheidung hat Euer Vater
getroffen?« erkundige ich mich.
Edmunds sorgenvolles Gesicht schimmert
geisterhaft bleich im Licht einer Gaslampe, die für kurze Zeit
der Finsternis
die Herrschaft über Kairn Telest streitig macht.
»Entscheidung?« erwidert er resigniert.
»Eine
Entscheidung kann nur treffen, wer die Wahl hat. Der Auszug des Volkes
ist
beschlossen.«
Wir befinden uns in meiner Welt, in
›meiner‹
Bibliothek. Der Prinz schaut sich um und sieht, daß hier
liebevoll Abschied
genommen wurde. Die älteren, schon brüchigen und
zerlesenen Folianten sind in
stabilen Truhen aus geflochtenem Kairngras verpackt. Andere,
neuere Bücher, zumeist von mir selbst oder
meinen Schülern geschrieben, liegen sorgfältig
etikettiert auf Regalen in den
tiefen Wandnischen.
Ich bemerke Edmunds Blick, errate seine Gedanken
und kann ein verlegenes Lächeln nicht unterdrücken.
»Töricht von mir,
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