Feuersee
ersticke!
Seine Hände wurden feucht, am ganzen Körper
brach ihm der kalte Schweiß aus. Ich muß hier raus!
Haplo stieß Alfred zur Seite und warf sich gegen
die versiegelte Tür. Er kratzte Runen in den Stein,
Patrynrunen. Seine Hände
zitterten so stark, daß er Mühe hatte, Sigel zu
konstruieren, die er seit
seiner Kindheit beherrschte. Sie leuchteten rot, wurden blaß,
dunkel,
erloschen. Er hatte einen Fehler gemacht. Einen dummen Fehler. Fluchend
biß er
die Zähne zusammen und fing von vorne an. Alfred versuchte,
ihm in den Arm zu
fallen. Haplo verscheuchte ihn, wie er eine Stechmücke
verscheucht haben würde.
Das weiße, blau getönte Licht wurde heller, strahlte
auf ihn herab wie eine
furchtbare Sonne.
»Haltet ihn auf!« Die schrille Stimme der
Lazar.
»Er verläßt uns!«
»… verläßt uns
…«
Haplo begann zu lachen. Er ging nirgends hin,
und er wußte es. Sein Lachen hatte einen Unterton von
Hysterie, er merkte es,
doch es war ihm gleichgültig. Sterben. Wir werden alle sterben
…
»Der Prinz!« Alfreds Ruf und das warnende
Bellen
des Hundes ertönten zur gleichen Zeit, verschmolzen zu einem
Laut, als hätte
der Sartan der Stimme des Hundes die Worte geliehen.
Es gelang Haplo, sich zu beherrschen, doch seine
Haltung und seine Züge verrieten tiefste geistige und
körperliche Erschöpfung,
als er sich umdrehte und sah, daß wenigstens ein Mitglied
ihrer Gruppe einen
Ausweg gefunden hatte.
Der Leichnam des Prinzen war über den Tisch
gesunken, die grausige Magie, die ihn am Leben hielt, hatte ihre
Wirkung
verloren, und Edmunds Schemen löste sich von der sterblichen
Hülle, an die er
gekettet gewesen war. Aufrecht und stolz, wie der Prinz zu Lebzeiten
gewesen
war, erhob sich die transparente Gestalt über dem toten Leib;
auf dem Gesicht
mit den edlen Zügen malte sich entrücktes Staunen.
Die Arme des Leichnams lagen
schlaff auf der Tischplatte, die Arme des Schemens waren erwartungsvoll
ausgesteckt. Er tat einen Schritt und schwebte durch den Tisch aus
massivem
Holz, als wäre dieser nur ein Trugbild.
Noch ein Schritt und noch einer.
Der Schemen entfernte sich von seinem Körper.
»Haltet ihn auf!« Das Gesicht der Lazar,
in dem
sich die Züge der Lebenden und der Toten
überlagerten, wandte sich Haplo zu.
»Ohne ihn werdet Ihr nie Euer Schiff wiederbekommen!
Eben jetzt versuchen Kundige seines Volkes, den
Runenpanzer zu durchbrechen. Baltasar plant, zur anderen Küste
überzusetzen und
Nekropolis anzugreifen.«
»Woher, zum Henker, willst du das wissen?«
schrie Haplo. Er wußte, daß er die Kontrolle
über sich verlor, doch er war
machtlos dagegen.
»Die Stimmen der Toten sprechen zu mir!«
antwortete die Lazar. »Wo sie auch sind, ich kann sie
hören. Haltet den Prinzen
auf, oder Eure Stimme wird bald auch diesem Chor
angehören!«
»… diesem Chor angehören
…«
Es konnte alles nur ein makabrer Traum sein.
Haplo warf Alfred einen anklagenden Blick zu.
»Ich war es nicht! Diesmal nicht!«
protestierte
der Sartan händeringend. »Aber es stimmt. Er geht
fort.«
Der Schemen des Prinzen näherte sich der Mitte
des Tisches. Die Umrisse der Gestalt wurden klarer, deutlicher,
während der
zurückgelassene Körper langsam zu Boden glitt. Wohin
wollte er? Welche Macht
rief ihn zu sich?
Welche Macht konnte ihn zurückhalten?
»Hoheit!« rief Jonathan drängend.
Seine Stimme
war brüchig vor Erregung. »Euer Volk. Ihr
könnt es nicht im Stich lassen. Es
braucht Euch!«
»Euer Volk!« fiel die Lazar schmeichelnd
ein.
»Es ist in Gefahr. Baltasar regiert an Eurer Statt, und er
führt es in einen
Krieg, den er nicht gewinnen kann.«
»Kann er uns überhaupt
hören?« fragte Haplo
zweifelnd.
Offenbar hatte der Schemen gehört, was man zu
ihm sagte. Er zögerte, der Blick aus den Schattenaugen
musterte die
Umstehenden, langsam schwand der Ausdruck sehnsüchtiger
Freude, wurde verdrängt
von Zweifel, Sorge, Verzicht.
»Es ist grausam, ihn
zurückzurufen«, murmelte
Alfred.
Haplo wäre ihm gern mit einer sarkastischen
Bemerkung über den Mund gefahren, aber ihm fehlte die Kraft.
Außerdem war er
zornig auf sich selbst, weil er genau dasselbe gedacht hatte.
»Kehrt zu Eurem Volk zurück.« Die
Lazar sprach
in dem sanft überredenden Tonfall einer Mutter, die ihr Kind
vom Rand einer
steilen Klippe fortlocken will. »Es ist Eure Pflicht, Hoheit.
Ihr tragt die
Verantwortung. Ihr könnt nicht
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