Feuersee
Blick.
Er sah krank und verhärmt aus. Seine Haut war grau, die
Hände zitterten, die
Schultern beugten sich unter einer erdrückenden Last. Er litt,
und Haplo hätte
triumphieren müssen, sich weiden an den Qualen seines Feindes.
Doch er konnte es nicht, und das ärgerte ihn. Er
malte eine Patrynrune mit dem Blut des Erzfeindes und empfand nichts
als dumpfe
Übelkeit. Ob es ihm behagte oder nicht, Alfred und er waren
Äste vom selben
Baum, der eine oben am Stamm, der andere weiter unten; der eine dem
Licht
entgegenstrebend, der andere im Schatten. Aber die Axt, die den Baum
fällte,
brachte beiden den Tod. Im Schicksal der Sartan erkannte Haplo den
Untergang
auch seines Volkes.
Bringe ich meinem Fürsten das Wissen, das es ihm
ermöglicht, die Toten wiederzuerwecken? Oder verschweige ich
meine Entdeckung?
Das würde bedeuten, daß ich lügen
muß. Den Mann belügen, dem ich mein Leben
verdanke.
Was sind das für Gedanken?
Selbstverständlich
gehört meine Entdeckung dem Fürsten. Ich werde ihm
Jonathan bringen. Was ist
los mit mir? Ich werde sentimental! Alles die Schuld von diesem
verfluchten
Alfred. Ihn nehme ich auch mit, zurück in den Nexus. Der
Fürst wird sich mit
ihm befassen.
Und ich werde zusehen und jede Minute genießen
… Nur einer lebt noch.
Sie gelangten in das Vorzimmer des Thronsaals.
Die Höflinge, die Kleitus umschmeichelt hatten, lagen tot auf
dem Boden. Sie
waren einer wie der andere unbewaffnet gewesen, ohne die
Möglichkeit, um ihr
Leben zu kämpfen, doch es sah aus, als hätten einige
verzweifelt zu entkommen
versucht. Man hatte sie von hinten niedergestochen.
»Nun haben sich ihre Hoffnungen
erfüllt«, meinte
Jonathan, der sie leidenschaftslos betrachtete, »Kleitus hat
ihnen Beachtung
geschenkt, jedem einzelnen von ihnen.«
Haplo schaute den jungen Herzog an. Alfred
erlitt stellvertretend alle Qualen der Ermordeten. Jonathan hingegen
hätte
einer der Toten sein können. Er und Prinz Edmund hatten eine
gespenstische
Ähnlichkeit miteinander. Gelassen, ernst, unberührt
von der Tragödie.
»Und wo ist Kleitus?« fragte Haplo laut.
»Und
warum hat er all diese Toten zurückgelassen, statt sie in
Lazare zu
verwandeln?«
»Unter diesen hier befinden sich keine
Nekromanten«, erklärte Alfred mit brüchiger
Stimme. »Kleitus will die Kontrolle
behalten. In einigen Tagen wird er zurückkommen, um die Toten
zu erwecken, wie
es früher Brauch gewesen ist.«
»Außer«, fügte Jonathan
hinzu, »daß Kleitus
jetzt mit den Toten sprechen kann. Die Lazare haben den bisher
willenlosen
Toten die Fähigkeit zu denken wiedergegeben.«
Armeen von Toten, auf einem zielstrebigen
Vernichtungsfeldzug gegen jene, die sie haßten und beneideten
– die Lebenden.
»Das ist der Grund, weshalb wir im Palast keinen
von ihnen angetroffen haben«, sagte der Schemen.
»Kleitus und Jera und ihre
Streitmacht sind weitergezogen. Sie bereiten sich darauf vor, die
Feuersee zu
überqueren, um das letzte Volk von Lebenden anzugreifen und zu
vernichten, das
in dieser Welt noch existiert.«
»Euer Volk«, meinte Haplo.
»Es ist nicht mehr mein Volk«, entgegnete
der
Prinz. »Mein Volk sind jetzt diese.« Der
weißlich schimmernde Schemen stand
zwischen den Leichen, sein kalter Schimmer warf einen fahlen Glanz auf
die
starren Gesichter. Das Wispern der unglücklichen Schatten
erfüllte die Luft,
als ob sie ihm antworteten.
Oder ihn anflehten.
»Wir müssen Baltasar warnen. Und was ist
mit
deinem Schiff?« fragte Alfred plötzlich und wandte
sich an Haplo. »Kann ihm
nichts passieren? Bist du sicher?«
Haplo wollte schroff erwidern, daß sein Schiff
selbstverständlich durch einen magischen Panzer
geschützt war, doch er biß sich
auf die Zunge. Wie konnte er dessen so sicher sein? Er wußte
nicht, über welche
Macht diese Lazare verfügten. Wenn sie das Schiff
zerstörten, war er in dieser
Welt gefangen, bis er ein neues fand. Gefangen, bedrängt von
Armeen von Toten,
im ständigen Kampf gegen Wesen, die nicht getötet,
nicht besiegt werden
konnten. Haplo stockte der Atem. Die Panik des Sartan war ansteckend.
»Was tut er jetzt? Wo befindet sich Kleitus in
diesem Moment? Wißt Ihr es?«
»Ja«, erwiderte der Prinz. »Ich
höre die Stimmen
der Toten. Er sammelt sein Heer, läßt die Schiffe
zum Auslaufen bereitmachen.
Es wird einige Zeit dauern, bis all seine Truppen an Bord gegangen
sind.« Haplo
hätte schwören
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