Feuersee
wißt es. Ihr seid ein Sartan. Ihr
seid
einer von uns. Und Ihr seid nicht von dieser
Welt.«
Alfred brachte vor Erstaunen kein Wort heraus.
Er konnte nicht lügen. Doch wie sollte er die Wahrheit sagen,
wenn er sie gar
nicht kannte?
Baltasar lächelte, aber es war ein
furchteinflößendes Lächeln,
erfüllt von einer plötzlichen, aggressiven
Euphorie. »Ich sehe die Welt, von der Ihr kommt, sehe sie in
Euren Worten. Eine
reiche Welt, eine Welt des Lichts und der reinen Luft. Die alten
Legenden sind
also wahr! Unsere lange Suche nähert sich dem Ende!«
»Suche wonach?« erkundigte sich Alfred in
dem
verzweifelten Bestreben, das Thema zu wechseln. Es gelang ihm.
»Dem Weg! Dem Rückweg zu jenen anderen
Welten.
Dem Fluchtweg aus dieser Höhle!« Baltasar beugte
sich näher zu ihm, seine
Stimme war zu einem heiseren Flüstern herabgesunken:
»Dem Todestor!«
Alfred konnte nicht atmen; er glaubte, ersticken
zu müssen. »Wenn – wenn Ihr mich
entschuldigen wollt«, stammelte er, versuchte
aufzustehen, zu entkommen. »Ich – ich
fühle mich nicht wohl …«
Baltasar hielt Alfred mit der Hand auf dem Arm
zurück. »Ich kann dafür sorgen,
daß Ihr Euch noch erheblich schlechter
fühlt.«
Er warf einen vielsagenden Blick auf die große Schar der
Wiedergänger.
Alfred röchelte, schnappte nach Luft und sank
kraftlos in sich zusammen. Der Hund hob den Kopf und knurrte,
als wollte er
fragen, ob der Sartan Hilfe brauchte.
Baltasar schien bestürzt über die Wirkung zu
sein, die er mit seinen Worten erzielt hatte. »Es tut mir
leid«, sagte er, »ich
hätte Euch nicht bedrohen dürfen. Glaubt mir, ich bin
kein schlechter Mann,
aber ich bin verzweifelt.«
Alfred setzte sich mit zitternden Knien,
streckte zögernd die Hand aus und tätschelte
ungeschickt den Hund, der den Kopf
auf die Vorderpfoten bettete und weiter seine Rolle als stiller
Beobachter
spielte.
»Euer Begleiter, der mit den Tätowierungen
– wer
ist er? Er ist kein Sartan wie Ihr oder ich. Und doch hat er mehr
Ähnlichkeit
mit uns als diese anderen – das Kleine Volk.«
Baltasar hob einen kleinen,
scharfkantigen Stein auf und drehte ihn in dem weichen, gelblichen
Licht, das
die Höhle erfüllte. »Dieser Stein hat zwei
Facetten, jede individuell und doch
Teil eines Ganzen. Ihr und ich, wir sind die eine Facette, er ist die
andere.
Dennoch sind wir gleich.«
Der Blick des Nekromanten heftete den verstörten
Alfred an die Felswand. »Ich will es wissen! Die Wahrheit
über ihn! Die
Wahrheit über Euch! Seid Ihr durch das Todestor gekommen? Wo
liegt es?«
Ȇber Haplo kann ich Euch nichts
erzählen«,
setzte Alfred sich matt zur Wehr. »Eines anderen Mannes
Geschichte ist sein
Eigentum, über das nur er verfügt.« In
seiner Bedrängnis verfiel der Sartan
darauf, sich in die Wahrheit zu flüchten, oder zumindest die
halbe Wahrheit.
»Hierhergekommen bin ich durch Zufall. Ich wollte es gar
nicht!«
Die schwarzen Augen durchbohrten ihn, sezierten
seine Gedanken und sein Ich, bis zu guter Letzt der hitzige Funke in
ihnen
erlosch, Baltasar den Blick abwandte.
»Ihr lügt nicht«, meinte der
Nekromant nach
längerem Schweigen. »Ihr seid nicht fähig
zu lügen. Aber Ihr sprecht auch nicht
die Wahrheit. Wie könnt Ihr diese Widersprüche
miteinander vereinbaren?«
»Weil ich die Wahrheit nicht kenne. Nur einen
winzigen Ausschnitt vermag ich zu ahnen, und wenn ich das wenige
preisgebe, das
ich zu wissen glaube, könnte ich damit Schaden anrichten, den
ich nicht wieder
reparieren kann. Es ist besser, wenn ich es für mich
behalte.«
In Baltasars zornigen Augen spiegelte sich der
gelbe Feuerschein. Alfred hielt seinem Blick stand, ruhig und
unerschütterlich.
Es war der Nekromant, der sich endlich geschlagen gab; seine
ohnmächtige Wut
verebbte zu düsterer Trauer.
»Es heißt, daß auch wir einst
solche Tugenden
besaßen. Es heißt, daß die
bloße Vorstellung, jemand aus unserem Volk könnte
das Blut eines anderen vergießen, so grotesk war,
daß es in unserer Sprache
kein Wort dafür gab. Nun, jetzt haben wir diese Worte: Mord,
Krieg, Betrug,
Verrat, Lüge, Tod.«
Baltasar erhob sich. Sein heißer Zorn
kühlte ab
und wurde hart wie Lava, die in einen Teich mit eiskaltem Wasser
fließt. »Ihr
werdet mir verraten, was Ihr über das Todestor wißt,
wenn nicht mit Eurer
lebenden Stimme, dann mit der Stimme des Toten.« Er drehte
sich halb herum und
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