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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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Gesicht peitschen, fast auf dem Wasser liegende Wolkenfetzen. Angeblich ist dies das Standardwetter vor dieser 200 Quadratkilometer großen norwegischen Horrorinsel, die nur von Eisbären bewohnt wird und dank ihrer rundum verlaufenden Steilküste kaum zugänglich ist, und angeblich hatten wir Glück. Meist wäre es hier noch viel schlimmer.
    Zu gern hätte ich eine dieser Tabletten geschluckt, die man wordos an der Rezeption ausgehäntligt kriegt, wenn man mit grünem Gesicht an den Tresen wankt, denn aus Erfahrung weiß man dort, dass auf Wörter oft der Mageninhalt folgt. Aber es sind Knockout-Pillen, die man da verteilt. Sie helfen zwar sofort, aber man liegt danach mindestens zwölf Stunden apathisch im Bett. Heute Abend aber, um acht, werden wir das norwegische Fesdand erreichen, und da ist ein mitternächtlicher Besuch auf dem Nordkap vorgesehen. Den will ich bei vollem Verstand erleben. Also habe ich zur Abwehr der Übelkeit den ganzen Vormittag auf dem Promenadendeck verbracht, dick vermummt in einer windgeschützten Ecke.
    »Grauenhaft«, sagte Frau Immendorf und setzte sich neben mich.
    »Ja, furchtbares Wetter«, antwortete ich und klappte mein Buch zu, denn Frau Immendorf hatte beide meiner Lesungen besucht, und ich bin schließlich Dienstleister hier. Da kann man nicht sagen: »Hau ab, blöde Kuh«, wenn sich jemand ungebeten daneben setzt. Man kann es nur denken.
    »Ich meine nicht das Wetter, wir hatten vor der Bäreninsel schon mal Windstärke 8«, korrigierte mich Frau Immendorf, als führe sie täglich durch diese gottverdammte Ecke. »Mit grauenhaft meine ich das Schiff.«
    Frau Immendorf ist eine der vielen reichen Witwen an Bord. Die meisten von ihnen sind Amerikanerinnen, gesellig, pflegeleicht und überschminkt, die am liebsten den ganzen Tag Bingo spielen und auch noch mit achtzig im Teenie-Look zum Tanztee erscheinen. Die deutschen Witwen hingegen sind eindeutig was Besseres: dezent in der Kleidung, vornehm im Auftreten, kulturbeflissen, bösartig und ewig meckernd. Wenn das mit dem Buddhismus stimmt, bin ich wahrscheinlich eine wieder geborene deutsche Witwe.
    »Sie meinen, die Überschwemmung heute?«, fragte ich. Vor unserer Tür stand nämlich am Morgen der ganze Gang unter Wasser, aber diesmal nicht wegen eines Rohrbruchs, sondern weil die Stewardess beim Aufräumen einen Hahn nicht geschlossen hatte. Immer noch surren Gebläse und Heizlüfter, denn es stinkt gewaltig, und zwei von den fensterlosen Innenkabinen mussten geräumt werden.
    »Ach nein, das passiert schon mal, da gibt es Schlimmeres«, sagte Frau Immendorf. »Ich habe auf diesem Schiff sogar einen Brand überlebt!«
    Vor drei Jahren wäre das gewesen, in der Karibik. In der Wäschekammer sei das Feuer ausgebrochen, ein gewaltiger Schaden vor allem durch den Rauch, der sich blitzartig überall ausbreitete. Es gab sogar einen Toten, es war aber kein Passagier, und das Schiff musste an den Haken genommen und nach Jamaika geschleppt werden. Hinterher war eine Komplettrenovierung nötig, und seitdem hat dieses Schiff einen anderen Namen, denn »wer will schon auf einen Kahn, auf dem es mal gebrannt hat?«.
    Sie selbst freilich hätte kein Problem damit, sagte Frau Immendorf. »Es war ja kein technischer Fehler, sondern Brandstiftung. Rache von jemandem von der Besatzung, der sich geärgert hat...« 6
    Ich beschloss, nie wieder was zu tun, was Besatzungsmitglieder ärgern könnte, und fragte vorsichtig nach: »Was finden Sie hier so grauenhaft?«
    »Alles«, antwortete Frau Immendorf mit der gleichen Bestimmtheit wie die Seeräuber-Jenny in der Dreigroschenoper auf die Frage, wie viele Köpfe heute rollen sollten. »Alles geht auf diesen Schiffen den Bach runter. Der Service, das Personal, aber vor allem das Unterhaltungsangebot. Nur noch auf die Amis zugeschnitten, nichts als Trallalla mit Zauberern und abgehalfterten Hupfdohlen, ein Clyderman-Verschnitt klimpert Schnulzen, der Kreuzfahrtdirektor imitiert Frank Sinatra und der Sommelier ist aus Indonesien und weiß nicht mal, wie man einschenkt. Und dazu diese grauenhaft primitiven Vorträge!« Ach, du liebe Zeit, meint sie jetzt mich damit?
    Nein, zum Glück nicht: »Schauen Sie doch, was die mit Ihnen machen! Sie sind gerade mal Lückenbüßer an den Abenden, wenn vorher Landgang war und die Amis sogar fürs Kasino zu müde sind, sodass man ihnen kein Remmidemmi vorsetzen kann. Dann kommen wir Deutschen dran. Haben Sie das nicht gemerkt? Und haben Sie sich gefragt, wer morgen

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