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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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nur noch die unmittelbaren Tischnachbarn, und viele verschweigen ihren Geburtstag, weil die Prozedur ebenso lästig wie peinlich ist. Gestern allerdings gab es einen besonderen Anlass, und da sang der ganze Saal wieder aus voller Kehle: ein Kindergeburtstag. Sind ja ohnehin nur zwei kleine Kinder an Bord, und weil sie so brav und lieblich sind wie in der Werbung, haben sie das auch verdient.
    Sonja, unsere Servierdame, ist eine Grazer Frohnatur und hat die Eigenschaft, einen in die Rippen zu boxen, wenn man sie zum Lachen bringt. Meinen Hang zum Wortspiel hat sie mir dadurch gestern schmerzhaft ausgetrieben. Denn als sie ankündigte, dass es zum Hauptgang Farfalla gäbe, und ich sie fragte, ob man dabei das Farfalla-Datum beachten müsse, kriegte ich einen Boxhieb, der mich fast vom Stuhl fegte. Na klar, sie kommt ja aus der gleichen Ecke wie Arnold Schwarzenegger. Dafür ließ sie uns nachher, als meine Frau wieder mal am Nachtisch rumnörgelte, von Toni, dem Wiener Kontlitor, den besten Kaiserschmarrn der Welt anfertigen. Und weil wir gerade bei den Rekorden sind: Beim Mittagsbuffet gab es heute das beste Risotto der Welt. Das löste zwar fast eine Ehekrise aus, da meine Frau die Herstellung des besten Risottos der Welt bisher für sich beanspruchte, aber wir einigten uns auf einen Kompromiss: Ab jetzt gibt es ZWEI beste Risotti der Welt.

    Inzwischen haben wir das Nordkap umrundet, mit Südkurs an Hammerfest vorbei, der nördlichsten Stadt Europas, wo einst die Straße endete, und sollten jetzt die zerrissene Fjord-Landschaft zwischen dem norwegischen Festland und seinen vorgelagerten Inseln genießen. Aber dort läge dichter Nebel, ließ der Kapitän uns wissen, und wir mussten hinaus aufs offene Meer.
    Dieses offene Meer ist mein Todfeind. Sofort begann es elend zu schaukeln, die ganze Nacht über, und wieder einmal rettete mich nur meine Lieblingsvorstellung, tot zu sein, vor dem Sterben. Zum Frühstück zwinge ich mir den englischen Überlebensbrei hinein, einen Teller Porridge mit Honig, danach muss ich mich noch mal für drei Stunden hinlegen. Als ich aufwache, hat sich das Meer beruhigt und die Sonne scheint. Vielleicht hat das Risotto deshalb so köstlich geschmeckt. Die erste Mahlzeit nach der Wiedergeburt.

    Das Schöne am Theater ist, dass man sich nach dem Verbeugen durch den Hinterausgang schleichen kann und den Zuschauern nicht in die Augen schauen muss. Auf dem Schiff ist das Ausweichen schwierig, da muss man sich verstecken, wenn man Angst vor dem Publikum hat. Aber jetzt, da meine Lesungen bewältigt sind, bin ich mutiger und wage mich unter die Leute.
    Gestern, nach dem Tee, war ich im Ballsaal beim Bingo. Hundert lustige Witwen hocken dort über ihre Zettel gebeugt, kaum ein Mann unter den Spielern. Les und Helena, die Spielführer, sagen mit monotoner Stimme Zahlen an und machen bei jeder einen Reim. »Number ten — strikes Big Ben«, zum Beispiel, oder: »Here comes seven — way to heaven.« Besonders poetisch wird es, wenn die Ziffer 2 kommt, denn da diese wie eine schwimmende Ente aussieht, wird sie auch als solche benannt: »Two for duck.« Und da dies noch kein Reim ist, geht es weiter mit: »Duck makes quak.« Der Höhepunkt kommt, wenn die 22 gezogen wird. »Double duck«, sagt dann der Spielführer, und das komplette Mumienballett von hundert lustigen Witwen jubelt im Chor: »Quak-quak!«
    Nebenan, in der Garden Lounge, findet am frühen Abend der Tanz-Cocktail vor dem Dinner statt. Das ist das Reich der Gentlemen Hosts, unserer vier Edelrentner, die in gleichen Anzügen mit gleichen Krawatten den allein reisenden Damen als Tanzpartner zur Verfügung stehen, jeweils eine Stunde vor und nach dem Essen. Endlich kann ich sie in Ruhe beobachten und ihre Spielregeln kennen lernen.
    Regel Nummer eins: nur EIN Tanz pro Lady, dann zur nächsten wechseln, bis alle drangekommen sind. Zweite Regel: Während der Arbeitszeit darf sich ein Host nicht setzen, auch dann nicht, wenn er gerade keine Partnerin hat; er muss immer stehend tanzbereit sein. Und die dritte: Nur jene Damen dürfen aufgefordert werden, die vorher durch Blickkontakt und Nicken Paarungsbereitschaft signalisiert haben. Getanzt wird im Übrigen brav und ordentlich, niemals eng und schmusig, auch wenn man sich mit Honey, Doll und Darling anredet.
    Groß war der Andrang am Nachmittag nicht, die Hauptarbeit kommt immer erst nach dem Essen. Aber immerhin. Ein gutes Dutzend beschwingter Amerikanerinnen — europäische Frauen sind

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