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Feuersteins Drittes

Feuersteins Drittes

Titel: Feuersteins Drittes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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stiftete.
    Mit der technischen Beherrschung der Sprache allein ist es aber nicht getan, habe ich mir sagen lassen, man muss auch mit ihr umgehen können. Denn wie fast alle Länder Asiens hat auch Thailand ein kompliziertes Geflecht von Rangordnung und Höflichkeit im Umgang miteinander, voller Gefahren von Beleidigung und Gesichtsverlust. Während man bei uns die eigene Bedeutung durch eine gerümpfte Nase und verächtliche Blicke dokumentiert, lächelt man in Thailand und demütigt lieber mit sanften Wörtern. »Der weiß nicht, wen er vor sich hat«, war ein Standardsatz von Nu, dem Generalssohn, wenn wir unterwegs waren und er mit einem Fremden sprach. Er sagte dies übrigens ohne jede Arroganz, sondern mit der Selbstverständlichkeit des Anspruchs nach den Regeln der Wiedergeburt: Wäre er in seinen früheren Leben ein schlechter Mensch gewesen, wäre er heute nicht Sohn eines Generals. Sondern ein niederes Tier oder gar ein Wolpers.
    Deshalb klopfen Thailänder bei der Begegnung mit Fremden als Allererstes vorsichtig die Rangordnung ab. Vom neuen Geschäftspartner will man nicht die politische Einstellung erfahren oder das Bikinibild seiner Freundin sehen, sondern wissen, was er verdient. Geld ist das wichtigste Kriterium in der Standesleiter. Und wenn sich herausstellt, dass man selbst den deutlich höheren Rang einnimmt, spricht man mit seinem Gegenüber gleich ganz anders. Ein bisschen wie einst bei uns in der Feudalzeit, als man Bedienstete noch in der dritten Person anredete: »Hol Er sich den Lohn, Er ist entlassen.«
    »Welchen Fehlschlag plant Er heute?«, fragte ich, thailändisch lächelnd, Wolpers am dritten Drehtag beim Frühstück. Er grinste deutsch zurück und schleppte mich auf eine Schlangenfarm.
    In den Reiseführern steht meistens nicht allzu viel über die Giftschlangen Thailands, denn sie kommen hauptsächlich in Sümpfen und Reisfeldern vor und jagen Frösche, keine Touristen. Die Einheimischen sehen das anders: 400 Tote durch Schlangenbisse zählt die Statistik jedes Jahr, meist verursacht durch die wendige, gelbschwarze Krait und die Brillenschlange, das Spielzeug der Fakire, die hier als Königskobra bis zu vier Meter lang werden kann. Schlangenfänger ist deshalb vor allem im flachen Reisland ein wichtiger, angesehener Beruf. Zu Zeiten der Aussaat, wenn die Felder unter Wasser stehen, ist er mit Netz und Hakenstock im Dauereinsatz, und seine Beute wandert entweder in den Kochtopf oder wird an die nächste Schlangenfarm verkauft, sowohl als Touristenattraktion als auch zum Abmelken des Giftes, um daraus Antiserum zu gewinnen, das einzig mögliche Gegenmittel.
    Knapp zwei Stunden dauerte die Fahrt zur Schlangenfarm inmitten der Reisfelder nordöstlich von Bangkok. Eine eher kleine Anlage: ein paar Dutzend Käfige mit den verschiedenen Nattern und Vipern, und in der Mitte eine Betongrube von acht mal acht Metern, etwa 150 Zentimeter tief. Da drin lagen sie, zwei Dutzend Kobras aller Größen, auch Königskobras darunter, eingerollt wie Lakritzstangen, in stummer Starrheit, dem Anschein nach friedlich und harmlos.
    »Sie sind satt, man kann ohne weiteres zu ihnen runtersteigen«, übersetzte Dieter, unser örtlicher Aufnahmeleiter. Und zum Beweis kletterte einer der Halbwüchsigen, die hier als Wärter arbeiteten, in die Grube, bloßfüßig, aber doch in respektvollem Abstand zu den Bestien, zweihundert Milligramm Gift können sie mit einem einzigen Biss durch ihren Hohlzahn in die Wunde spritzen, fünfzehn Milligramm davon reichen für den sicheren Tod. Im Vergleich dazu bringt es unsere süße, kleine Kreuzotter gerade mal auf zehn Milligramm, zudem mit viel schwächerer Giftigkeit: Sieben Mal müsste sie zubeißen, damit man einigermaßen verlässlich stirbt. 15
    Stefan hatte die Kamera ausgepackt und zog sich Gummistiefel an. Vorsichtig, wie ich ihn sonst gar nicht kenne, stieg er in die Schlangengrube und folgte genau den Anweisungen des Jungen, der ihm andeutete, wo er jeweils stehen müsste. Und dann drehte sich Wolpers langsam zu mir und blickte mich an.
    Es ist ein Blick, den die Weltgeschichte bestens kennt. Varus hat seine Legionen so angeblickt, in der Morgendämmerung am Rand des Teutoburger Waldes, und Nero seine Gladiatoren, als sie im Kolosseum noch beim Schminkmeister in der Maske saßen. Und mit dem gleichen Blick reichte Japans teuflischer General Tojo seinen Kamikaze-Piloten den Flugplan für Pearl Harbor. Hätte mich eine Kobra angeblickt, so hätte man sagen können,

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