Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
Vom Netzwerk:
Menschenhand.« Durfte ich mich einem solchen Fluss verweigern? Noch dazu 1998, im Fontane-Jahr? Wo ich dafür eine Eins bekommen hatte?
    Ich hatte mir aber ausbedungen, nur bis zur Anlegestelle zu fahren und die Sache in aller Ruhe anzusehen, mit dem Recht, die Fahrt selber bis zur letzten Minute absagen zu können. Aber man weiß ja, wie das ist: Da marschiert man groß mit der Kamera auf, die Leute vor Ort haben alles nett vorbereitet, das Floß dümpelt im Wasser, den Kälteanzug habe ich auch schon angezogen, unterm Arm trage ich den Sturzhelm, Neugierige stehen herum — und jetzt zurück?
    Schlimm genug, wenn der Bootsführer ein Kraftprotz ist, weil er sich dann meistens genötigt fühlt, dies durch besonders tollkühne Manöver zu beweisen. Ist er zusätzlich auch noch ein Clown, ist die Katastrophe so gut wie sicher, denn jetzt muss er auch noch Faxen machen. Es gibt nichts Schlimmeres, als mit solchen Typen in einer Seilbahngondel zu sitzen: Diese Idioten MÜSSEN einfach schaukeln. Einem Clown kann man das zur Not verbieten, aber was macht man, wenn er auch ein Kraftprotz ist?
    Unser Bootsführer war nicht nur ein Kraftprotz und Clown, sondern auch noch ein Menschenschinder. Unter dem Vorwand »Sicherheitsvorschrift« drückte er jedem ein Paddel in die Hand und quälte uns mit sinnlosen Manövern, »um das Floß im Gefahrenfall zu retten«. Die Rettung der Insassen interessierte ihn nicht die Bohne.
    Dann ging es los. Ständig brüllte er uns wie ein Galeeren-Einpeitscher irgendwelche Kommandos zu, und ständig mussten wir mit dem Paddel im Wasser stochern, als ob die Strömung, die uns über Felsen und Baumstämme schleuderte, nicht von sich aus schon schnell genug gewesen wäre. Dazu spulte er sein Faxenprogramm ab: Er tat, als sähe er Hindernisse im Wasser nicht, um dann im allerletzten Augenblick doch noch auszuweichen; er führte als lustige Einlage vor, wie man großbusigen Frauen Herzmassagen verabreicht (von hinten); und er hielt sich an einem überhängenden Ast fest, zog sich daran hoch und ließ sich hinter dem Boot mit einem Tarzanschrei ins Wasser fallen — war aber leider schon wieder an Bord, bevor ich noch nach dem Vorbild der »Bounty« eine Meuterei organisieren konnte.
    Wenigstens hielt Wolpers sein Versprechen und ließ mich vor der Stelle aussteigen, wo das Floß umkippen könnte. Es kippte dann auch tatsächlich um, dank der Nachhilfe durch den Schinderhannes, und im Film sieht es hoch dramatisch aus, als wäre ich mit drin gewesen.
    Trotzdem besteige ich nie wieder irgendein aufblasbares Zeug auf Wasser. Nicht mal eine Schwimmente. Auch einen Neopren-Schutzanzug fasse ich nie wieder an: Ein unangenehmes Gefühl auf der Haut und ein seltsamer Geruch noch dazu, den man auch hinterher nicht so schnell los wird. Kein Wunder: Wolpers hatte ihn ausgesucht; ich selber hatte einen anderen gewählt, einen sauberen und geruchlosen, aber da passte ihm die Farbe nicht. »Tand, Tand, ist das Gebilde von Wolpershand!« hätte Fontane dazu gesagt. Aber mit dem letzteren bin ich auch durch: Nie wieder werde ich mich von der Literatur zu sinnlosen und lebensgefährlichen Aktionen verleiten lassen.
    Trotzdem gelang es Wolpers, mir ein weiteres Wasserabenteuer aufzudrängen: am letzten Drehtag in Schottland, auf den Shetland-Inseln.
    Eigentlich sind es Inseln ganz nach meinem Geschmack: Noch karger als das schottische Hochland, noch melancholischer, und fast schon außerhalb der Welt. Nach London sind es tausend Kilometer, zur Polargrenze nur noch sechshundert. Die See ringsherum ist immer rau, im Westen sogar bösartig, und das Klima duldet keine Kühe mehr, nur noch Schafe und einen Restbestand der zottigen, kleinen Shetland-Ponys, denen es besser geht als je zuvor: Früher mussten sie als Grubenpferde im Bergwerk schuften, heute sind sie nur noch verwöhnte Kuscheltiere.
    Insulaner sind sowieso ein schwieriger Menschenschlag, das wissen wir von Sylt. Doch während die Sylter schon seit hundert Jahren die Touristen haben, an denen sie sich abreagieren können, hatten die 25 000 Shetkander als Reibungsfläche nur die englische Regierung, die sie zwar nicht gerade ablehnten, aber ignorierten, so weit es ging. So war es früher, als man hier noch ausschließlich von Fischfang und Strickwaren lebte, und so ist es bis heute geblieben, trotz des neuen Reichtums durch das Erdöl. Denn ein echter Shetlander fühlt sich kein bisschen britisch, und auch schottisch höchstens zu zehn Prozent. Er hat deshalb

Weitere Kostenlose Bücher