Feuersteins Ersatzbuch
ungewöhnliche Zutaten (Rüben statt Hafermehl, Schwein statt Schaf) bis hin zu kulinarischen Perversionen wie Haggis-Lasagne, vor der nicht mal Lindsay Grieve zurückschreckt. Seine preisgekrönte Spezialität aber ist und bleibt Haggis Legs, die klassischen Würste, die mit wenig Wasser und umso mehr Whisky angerührt werden.
Wenngleich ich meinen Haggis aus Zeitgründen weder stundenlang köcheln noch tagelang Zwischenlagern konnte, geriet er ganz vorzüglich, und während ich das niederschreibe, muss ich meinen Kopf hochhalten, um nicht das Schreibgerät mit dem Giersabber meiner Erinnerung voll zu tropfen und so die Elektronik zu gefährden. Ich könnte ja wieder mal norddeutschen Labskaus essen, mit dem Haggis entfernt verwandt ist. Aber bei allem Respekt vor Hamburg: Das wäre nur eine billige Ersatzdroge.
Haggis gibt es in allen Größen, von der »Gleich hier essen«-Packung zu vier Unzen (etwa 100 Gramm) bis zum Sechzigpfünder für die Hochzeit. Bei solch festlichen Anlässen wird er nicht nur verspeist, sondern regelrecht zelebriert: Von den Köchen auf den Schultern im Triumphzug hereingetragen, umrahmt von Wunderkerzen und schließlich vom Ehrengast mit einem Dolch angeschnitten. Piping in the haggis nennt man diese Zeremonie, »den Haggis reinpfeifen«. Damit ist aber nicht etwa die Unsitte hastigen Runterschlingens gemeint, sondern die musikalische Begleitung durch den Dudelsack, der mit dem Essen ohnehin ganz eng verwandt ist: Der Blasebalg des Instruments ist zwar aus Leder, wurde aber ursprünglich nach dem Prinzip des Schafsmagens konstruiert, und die »Brummer«, die drei ständig mitklingenden Basspfeifen, hören sich sowieso nicht wie Musik an, sondern wie Schafsfürze.
Auf Englisch heißt der Dudelsack übrigens bagpipe, also »Sackpfeife«, und könnte damit einer der vielen Kosenamen sein, die ich Wolpers gebe.
Der Reiherfelsen
Weil wir gerade bei Wolpers sind: In Schottland war er erstaunlich friedfertig. Er stattete mich mit einer regenfesten Barbour-Jacke aus, die ich auch heute noch gern trage, und versuchte nur zweimal mich zu töten. Beide Male im Zusammenhang mit Wasser, das ich bekanntlich hasse und fürchte.
Von Whitewater Rafting, einer Floßfahrt in ungezähmtem Wildwasser eines Bergflusses, stand kein Wort im Drehplan. Natürlich nicht, denn Wolpers wusste genau, dass ich so einem Vorhaben niemals zustimmen würde. Erst am Vorabend, als ich mich schon darauf freute, dass wir einen ganzen Tag nur für Landschaftsaufnahmen in den Grampian-Bergen zubringen würden, fragte er mich beiläufig, ob ich schon mal einen Neoprenanzug angehabt hätte, wegen der Größe; denn für die Floßfahrt brauchte ich einen solchen. Natürlich erntete er nur Gelächter auf diese Frage. Hat Mutter Teresa schon mal einen Motorradhelm aufgesetzt?
Wolpers hielt seinen üblichen Vortrag: Wie toll so eine Floßfahrt aussehen würde, ich, todesmutig in der weißen Gischt, und gefährlich wäre es sowieso nicht, nur Stufe zwei von insgesamt fünf Gefahrenstufen hätte dieser Fluss, außerdem würde Stephan an der Stelle, wo sich das aufblasbare Floß meistens überschlägt, tricksen, da könnte ich vorher aussteige...
Ich hörte gar nicht hin. Aber dann erwähnte er zufällig und ganz nebenbei, wo das Ganze stattfinden sollte: am Oberlauf des Tay-Flusses. Da wurde ich hellhörig — und Sie bestimmt jetzt auch, liebe Bildungsbürger: Tand, Tand, ist das Gebilde aus Menschenhand..., erinnern Sie sich noch?
Die Brück am Tay heißt die Ballade von Theodor Fontane (1819—1898), worin er die Katastrophe verewigt hat, die sich in der Nacht des 28. Dezember 1879 an der Tay-Mündung bei Dundee ereignete: In einem Sturm war die erst im Vorjahr über dem Fluss errichtete Eisenbahnbrücke eingestürzt, als gerade ein voll besetzter Zug darüberfuhr.
Ich hatte dieses Schauerstück vor fünfzig Jahren als Gedicht meiner Wahl in Literaturkunde vorgetragen, weil ich schon damals eine Rampensau war und man mächtig Eindruck schinden kann, wenn man mit großer Geste deklamiert, wie sich die Geister des rasenden Sturms gegen das lächerliche Menschenwerk verschwören, während ein braver Bahnwärter auf seinen Sohn wartet, der im Zug einem verspäteten Christfest entgegenfährt — und niemals ankommen wird.
»Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei!« konnte ich zum dramatischen Höhepunkt brüllen, um dann mit zitternder Stimme Lehrer und Mitschüler nochmals zu warnen: »Tand, Tand, ist das Gebilde aus
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