Feuersteins Ersatzbuch
nicht die geringste Lust, sich von irgendwem außerhalb seines Inselreiches dreinreden zu lassen — ein bisschen ähnlich, wenn auch nicht ganz so heftig, wie auf den Färöer-Inseln, noch nördlicher und noch wilder als die Shetlands gelegen, die gerade den Aufstand gegen ihr Mutterland Dänemark proben.
Das berühmte, wegen seiner hohen Qualität heiß begehrte Nordsee-Erdöl im flachen Wasser des East Shetland Basin war vor dreißig Jahren entdeckt worden, genug Öl, um den Eigenbedarf Englands für ein halbes Jahrhundert zu stillen. Sofort schwirrten wichtige Leute auf dem Flugplatz von Sumburgh ein und legten ihre Pläne vor: Man würde Pipelines von den Offshore-Bohrinseln bis zum Hafen legen und diesen gigantisch erweitern, für die größten Supertanker der Welt, natürlich samt den zugehörigen Büro- und Verwaltungsbauten.
Die Shetlander erwiesen sich als genauso stur, wie das ihr Ruf verlangte, und sagten Nein. Das würde ihre kleine Inselwelt zu sehr und zu nachhaltig verändern, es würde zu viele Störungen geben, zu viele Abfälle; allein durch Reinigung und Pipeline-Lecks, so hatten sie errechnet, würden sich 135 Tonnen Öl pro Woche in das Wasser des Hafens ergießen, das könne die empfindliche Umwelt mit ihren einmaligen Vogelfelsen und Hummerbänken nicht verkraften.
Sie sagten aber nicht ganz Nein, sondern auch ein bisschen Ja: An den Bohrinseln selbst gäbe es natürlich nichts auszusetzen, aber man müsse mitreden dürfen, mit Vetorecht, was immer da draußen passiert. Und so kam es, dass die Shetlander nicht nur größere Autonomie in der Selbstverwaltung erhielten als irgendwo anders im britischen Königreich, sondern zusätzlich einen Anteil an jeder Tonne hier geförderten Öls kassieren dürfen. Aus den Fischern und Strickerinnen sind Wohlstandsbürger geworden, und die Inseln sind heute die zweitreichste Region Schottlands, gleich nach der Gegend um Edinburgh, dem »schottischen Silicon Valley«, wo mehr als die Hälfte aller britischen Computerfirmen angesiedelt ist.
Ganz so märchenhaft ging es dann doch nicht weiter. Denn was nutzt die Verweigerung von Pipelines und Ölhafen, wenn ein Supertanker mit defekten Maschinen unaufhaltsam auf die Küste zu treibt und an den Klippen zerschellt? Genau das geschah im Januar 1993, und statt 135 Tonnen die Woche ergossen sich 80 000 Tonnen an einem einzigen Tag ins Meer. Und am Tag darauf an die Felsen und Strände der Inseln.
Die Natur verfügt über unglaubliche Heilkräfte, das hatten wir schon in Alaska erlebt, wo bei einer ähnlichen Katastrophe die doppelte Menge Rohöl ausgeflossen war und 2000 Kilometer Küste verseucht hatte: Sechs Jahre später war keine Spur mehr davon zu sehen.
Sechs Jahre waren inzwischen auch auf den Shetlands vergangen und es ist alles wieder so, wie es war: eine makellose Landschaft mit unzähligen Vögeln auf den Steilklippen, fischreiches, klares Wasser rundherum und Robben, die sich sogar im Hafenbecken tummeln. Wenn ich mich an diese einmalige, wildromantische Küstenlandschaft erinnere, frage ich mich, ob ich Wolpers diesmal nicht Unrecht zufüge. Die beiden Tage auf den Inseln waren doch ein grandioser Abschluss unserer Schottlandreise gewesen. Wo war da sein Mordversuch?
Zum Glück fiel es mir wieder ein: Durch boshafte Routenänderung hatte er mich seekrank gemacht, und weil es einem in diesem Zustand so dreckig geht, dass man nur noch sterben möchte, ist das doch eindeutig ein Mordversuch, oder?
Wir sollten eine Pflegestation für kranke Robben besuchen, aber aus irgendeinem Grund klappte das nicht. Stattdessen schickte mich Wolpers hinaus auf Fangtour mit einem Hummerfischer. Das würde zwar mein Erträglichkeitslimit auf hoher See — eine Stunde — bedeutend überschreiten, aber da die Hummerbänke ganz nah an der Küste liegen, erhob ich keinen Einwand. Ich ahnte ja nicht, wie bewegt das Meer dort war, und wie winzig das Fischerboot.
Der Beruf eines Hummerfängers auf den Shetlands ist, sofern man das Meer verträgt, ein Traumjob. Es gibt nicht sehr viele von ihnen, da man eine Überfischung vermeiden will und deshalb mit den Lizenzen sparsam umgeht. Dafür gibt es umso mehr Hummer: Robert Irvine, mein Fischer, brauchte nur von Boje zu Boje zu tuckern und die Kästen, die darunter hingen, einzuholen — alles voller zappelnder Krebse. Nur die größten Tiere behielt er, der Rest flog gleich wieder über Bord.
Mit zunehmendem Wellengang begann ich Wolpers zu hassen, weil er sich weigerte,
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