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Feuersteins Ersatzbuch

Feuersteins Ersatzbuch

Titel: Feuersteins Ersatzbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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öffentlich zugänglich.
    Dolly war nicht allein in dieser Halle, die mehr wie ein Flugzeughangar wirkte als ein Stall. Sie hatte zwar ihr eigenes, abgezäuntes Revier, aber rundherum gab es noch weitere Verschläge mit schwarzen und weißen Schafen aller Altersstufen, darunter auch Polly, das Klon-Schaf Nummer zwei als der nächste Schritt in der Versuchsreihe: Pollys Erbgut war ein menschliches Gen zugefügt worden, um aus ihrer Milch Eiweißstoffe zu filtern, als Basis für künftige humanverträgliche Medikamente.
    Polly war noch nicht reif für die Milchproduktion, umso häufiger musste sie für Blutuntersuchungen herhalten. Wenn immer das Stalltor geöffnet wurde, konnte sie davon ausgehen, dass wieder ein Quälgeist zum Aderlass kam, weshalb sie uns ziemlich unfreundlich empfing: Lustlos wandte sie sich ab, als wir die Kamera aufbauten. Oder geschah dies, weil sie Wolpers erblickte und deshalb ihre menschliche Verwandtschaft zu bereuen begann?
    Umso freundlicher war Dolly, die Erste. Und da ich ein bedingungsloser Anhänger der Wissenschaft bin, überkam mich frommer Schauder, als ich über den Trennzaun kletterte und vor ihr im Stroh kniete — eine Szene biblischer Wucht, die mich so sehr an meine katholische Kindheit erinnerte: an die Weihnachtskrippe im Stall zu Bethlehem. Damals lag das Jesuskind im Stroh, jungferngezeugt, mit Ochse und Schaf als Wächter. Hier war es das Schaf, unbefleckt empfangen durch den Heiligen Geist der Wissenschaft. Und als mir Dolly dann gar aus der Hand fraß, rieselte die nächste Welle der Frömmigkeit über meinen Rücken, ähnlich wie sie der Gläubige spürt, wenn ihm der Papst die Füße wäscht.
    Wer den Film kennt, erinnert sich vielleicht an meinen verklärten Blick und die stotternde Hilflosigkeit im Schafstall. Aber es geschieht ja nicht oft, dass man vor einer lebenden Legende steht. Und Dollys Geburt war schließlich ein historisches Ereignis, ein Wendepunkt in der Geschichte: der Tag, als wir Männer endgültig überflüssig wurden.
    Um von den mystischen Höhenflügen wieder in die Gefilde der Trivialunterhaltung runterzusteigen, drehten wir am Eingang des Instituts die passende Schlussszene für Dolly, einen Kameratrick aus zwei Bildhälften, die man später, bei der Nachbearbeitung im Studio, zu einem einzigen Bild zusammensetzen würde: Ich komme aus der Tür raus, bleibe grübelnd stehen und murmle: »Hoffentlich klont man hier nicht eines Tages Menschen!«, worauf hinter mir aus der gleichen Tür ein zweiter Feuerstein tritt, freundlich dem ersten zuwinkt und aus dem Bild marschiert. Das hat prima geklappt, und alle finden die Szene ganz nett. Nur meine Frau hat seither schreckliche Albträume.
    Schon am nächsten Tag dachte ich mit Wehmut an Dollys blitzblanken Hygienestall zurück: Dort hatte ich nicht das kleinste Stückchen Schafscheiße gesehen, während ich mich jetzt, auf einer südschottischen Wiese bei Moffat, in solcher buchstäblich wälzte. Zusammen mit einer Frau, während eines Schäferstündchens. Das war zwar bei weitem nicht so erregend, wie es klingt, aber doch irgendwie interessant.
    Viv Billingham ist Schäferin, und in Schottland ist das keineswegs ein aussterbender Beruf. Denn die fünf Millionen Einwohner haben insgesamt neun Millionen Schafe, und irgendwer muss sich schließlich um sie kümmern. Viv ist aber nicht irgendwer, sondern mehrfache Meisterin im Sheepdog Trial, dem Leistungswettbewerb für ehrgeizige Hirtenhunde und Schäfer.
    Der Wettbewerb hat ein bisschen Ähnlichkeit mit dem Spielzeugauto-Rennen auf Schloss Eriska: Der Schäfer steht am Rand eines Feldes und dirigiert zwei Hunde per Fernsteuerung, aber nicht elektronisch, sondern durch Pfiffe. Damit wird ihnen signalisiert, wie sie sich zu bewegen haben, um ein Rudel verängstigter Schafe über eine festgelegte Strecke in einen Pferch zu treiben, nach einer wilden Jagd kreuz und quer über die Wiese. Der Schäfer darf dabei seinen Platz um keinen Zentimeter verlassen. Geschwindigkeit und Präzision der Hundeführung entscheiden.
    Normale Hunde wären viel zu dumm oder stolz dafür. Es gibt nur eine Rasse, die dazu bedingungslos bereit ist, ja, regelrecht danach lechzt: die Border Collies. Sie bewegen sich wie die Bilder eines Films, der zwischendurch stehenbleibt: erst wie der Blitz voran, dann auf Kommando plötzlich in der Bewegung erstarrt und hinterher gleich wieder weiter. Oft robben sie flach am Boden wie ein Rekrut unter der Fuchtel des Schleifers, dann schleichen

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