Feuersteins Ersatzbuch
sie auf Samtpfoten wie eine Katze, und über jedem zweiten englischen Kamin hängt ihr Bild, wie sie in klassischer Lauerstellung verharren: Schnauze geradeaus, konzentrierter Blick, den Schwanz gestreckt und die rechte Vorderpfote leicht erhoben und angewinkelt. Die gesamte Palette ihres Verhaltens dient nur einem einzigen Zweck: unschuldige Schafe einzuschüchtern.
Vivs Hunde hießen Jed und Jessie, zwei brillante Schafsjäger, aber, wie man das von Champions kennt, hypersensibel, überspannt und ein bisschen hysterisch. Schon lang bevor es losging, heulten sie sich vor Jagdlust einen Wolf — im wahrsten Sinn des Wortes —, und als mir Viv die Bedeutung der einzelnen Pfiffe erklärte, drehten sie endgültig durch: Sie hörten Kommandos, sahen aber keine Schafe. Am liebsten hätten sie mich über den Parcours gejagt.
Dann war die Kamera eingerichtet und die Schafe wurden geholt, ein halbes Dutzend. Sie bewiesen, dass Schafe tatsächlich so dumm sind, wie man das von ihnen sagt. Denn sie hätten es sich leicht machen und einfach die Strecke ablaufen können, über die sie täglich gejagt wurden. Aber das überstieg ihre geistigen Kräfte: Sie konnten sich auch nach Wochen nicht merken, wo es langging, und wussten nur, dass die Hunde sie in den Pferch treiben würden, ins Ziel, wo sie ihre Ruhe hatten. Schnurgerade stürmten sie darauf los — zur Freude der Hunde, die genau wussten, dass nur Umwege zum Erfolg führen, und jetzt endlich beweisen konnten, was sie drauf hatten.
Es war unglaublich, wie viel verschiedene Pfeiftöne die Schäferin mit ihren Fingern zustande brachte, links, rechts, stop, go, für jeden Hund natürlich ein anderer Ton. Und es war ebenso unglaublich, wie präzise die Hunde ihr folgten. Wenn ich Billy, meinen Fernsehhund, zu einem einzigen Schritt bewegen wollte, kostete mich das jedes Mal ein Kilo Leckerli, und ich musste zudem vier Stunden lang auf ihn einreden. Und hier tanzten die Köter im Sekundenschritt nach der Pfeife. Richdg ärgerlich.
Zuletzte zeigte mir Viv, mit welchem Signal man die Schafherde ganz eng um sich schart, für den Fall, dass der böse Wolf kommt. Auch das klappte hervorragend, viel besser sogar, als wir erwartet hatten. Jed und Jessie jagten die Tiere herbei und zogen immer engere Kreise, während sich die Schafe an uns drängten. Sie stießen und schubsten, und allmählich wurde es in ihrer Mitte ganz schön ungemütlich. Ich bat Viv, das Gegenkommando zu pfeifen, aber die Schafe hatten sich schon so dicht herangeschoben, dass sie ihre Hände nicht mehr hoch bekam.
Als sich ein Schaf zwischen meine Beine bohrte, spürte ich, wie ich den Halt verlor. Ich versuchte, mich an Viv abzustützen, raubte ihr aber dadurch das Gleichgewicht. Halb zog ich sie, halb sank sie hin, und dann verschwanden wir in einem Meer von Schafen. Und als wir wieder aufstanden, waren wir über und über mit Schafscheiße beschmiert. Ich bilde mir ein, dass man sie sogar im Film noch riechen kann.
Scheiße ist übrigens das einzige Produkt vom Schaf, von dem man sicher sein kann, dass es nicht in »Haggis« kommt, das schottische Nationalgericht. Alles andere ist drin, lautet das Gerücht, einschließlich Knochen, Klauen und Wolle.
Das ist natürlich eine böswillige Übertreibung von Haggis-Hassern. Ich selber bin Haggis-Liebhaber, für einen Black-Pudding-Freund die logische Weiterentwicklung. Eine Schottlandreise ohne Haggis wäre für mich wie für Edmund Stoiber eine Fahrt durch München ohne Motorradeskorte. Also irgendwie witzlos.
Wie Vivs Hunde Jed und Jessie ist auch Lindsay Grieve ein Champion im Umgang mit Schafen. Er jagt sie aber nicht in einen Pferch, sondern durch den Fleischwolf, denn Lindsay ist Jahressieger der schottischen Haggis-Meister-schaft. In Hawick, nur eine Autostunde von Viv Billingham entfernt, erzeugt er das beste Haggis der Welt — und ich kochte mit.
Der schlechte Ruf von Haggis geht darauf zurück, dass es früher mal ein Arme-Leute-Essen war: Was immer nach der Schlachtung des Schafes an Innereien übrig geblieben war, schmiss man in einen Topf, streckte es mit Hafermehl, gab ordentlich Zwiebeln bei und würzte es so scharf, dass niemand auch nur die Frage aussprechen konnte, was denn das sei.
Heute geht es viel zivilisierter zu. Zwar ist es bei diesen Grundzutaten geblieben, doch wird raffinierter gemixt, stundenlang geköchelt und tagelang zwischengelagert. Außerdem hat jeder sein Geheimrezept: exotische Gewürze (Curry und Zitronengras) oder
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