Feuersteins Ersatzbuch
ebenfalls seekrank zu werden. Da ich in solchen Momenten zur Selbstzerstörung neige, weigerte ich mich, meinen Sitz auf dem offenen Verdeck zu verlassen, auch wenn ich ständig von der Gischt gewaltiger Brecher übergossen wurde. Wobei ich fairerweise zugeben muss, dass Wolpers immer wieder versuchte, mich nach innen zu locken, ins Trockene. Aber mir war viel zu übel, um aufzustehen, und weil er im Unterschied zu mir noch gehen und reden konnte, hasste ich ihn noch viel mehr.
Richtig grauenvoll wurde es dann vor dem riesigen Vogelfelsen, der fast senkrecht aus dem Wasser ragt, weit über hundert Meter hoch und dicht an dicht mit Vogelnestern besetzt. Denn hier mussten wir den Motor abstellen, damit Stephan, den wir samt Stativ auf einem vorgelagerten Felsbrocken abgesetzt hatten, mit originaler »Atmo« filmen konnte: mit Vogelgekreisch und Meeresrauschen. Und wenn es schon schrecklich genug ist, in einem Boot mit Motor durch die Brandung zu pflügen, ist es ohne Motor die reine Hölle: Hilflos schaukelte die Nussschale nach allen Seiten, zwei Meter rauf und zwei Meter runter, manchmal quer und manchmal in der Länge, und ich saß in der Ecke und litt wie nie im Leben, und schuld war Wolpers.
Über mir schrien und flatterten die Vögel. Zehntausende von Möwen gab es hier. Aber nur einen einzigen Reiher. Nämlich mich.
McTourist
Im Anfang war das Wort. So heißt der englische Fachausdruck für die Flüssigkeit, die den Zucker aus der gemahlenen Gerste löst. Dann kommt Hefe dazu, und aus dem Wort ward Whisky, vereinfacht dargestellt im Sinne von Johannes, dem Evangelisten. (»Johannes, dem Säufer«, hatte ich ursprünglich geschrieben, aber das war mir dann doch zu plump.)
In Wirklichkeit ist es natürlich etwas komplizierter. Da wird geröstet und gegärt, da blubbert und schäumt es, da gibt es große Bottiche und riesige Kupferkessel, und bis zu dreimal läuft der Saft durch die Destillieranlage. Erst dann entscheidet der Brennmeister, ob er gut genug ist, mindestens sieben Jahre in einem Holzfass eingelagert zu werden, auf dass er zum echten schottischen Malt-Whisky heranreift.
Ich hatte mir alles genau erklären lassen, denn ein Schottlandfilm ohne Whisky wäre wie ein Texasbericht ohne Hinrichtung. Gewissenhaft drehten wir den Werdegang des Gebräus, doch gab es einen Haken: Ich durfte nichts kosten. Dabei hatte ich mir das so lustig ausgedacht: Mit einem Messbecher wollte ich die Bottiche abschreiten, um von jedem Stadium eine Kostprobe zu entnehmen, und mit zunehmender Angeregtheit würde ich das Ganze erklären. Sofort gab es Krach mit Wolpers, der das großartig fand, aber unbedingt wollte, dass ich am Ende sturzbetrunken in ein Eichenfass falle. Solchen aufgesetzten Blödsinn hasse ich wie die Pest, ganz abgesehen davon, dass es alles andere als einfach ist, glaubwürdig einen Betrunkenen zu mimen — das weiß ich, seit ich an der Leipziger Oper den Gefängniswärter Frosch in der Fledermaus gespielt habe. *
Aber wie gesagt: Ich durfte nichts kosten. Nicht mal den kleinsten Schluck. Diese Weigerung hatte nichts mit dem angeblichen schottischen Geiz zu tun, sondern ist Vorschrift von Finanzamt und Zoll: Nur versteuerter Whisky darf getrunken werden, egal in welcher Form; die Mengen sind genau berechnet, die Destillieranlage sogar amtlich versiegelt. Natürlich hätte es niemanden gestört, wenn ich mich privat aus dem Bottich bedient hätte, aber vor laufender Kamera ist das tabu. Denn wer weiß, vielleicht sieht das die Königin, und dann gibt’s eine Staatskrise. (Was wir damals noch nicht wussten: Ich hätte ruhig kosten und sogar den halben Kessel leer trinken können, denn das Ergebnis des Drehs war so dürftig ausgefallen, dass wir die Whiskyreportage im Film gar nicht verwendet haben.)
Über hundert Whiskydestillerien gibt es in Schottland. Besonders viele davon liegen in der Nähe des Binnensees Loch Ness, dem Wohnort des berühmten Ungeheuers, was übrigens die Chance für seine Sichtung gewaltig erhöht — vor allem für jene, die gerade eine Whiskyprobe hinter sich haben. Whisky Trail nennt sich die Straße quer durchs Land, an der die meisten Brennereien liegen, eingezeichnet in jeder Touristenkarte, wahrscheinlich als Warnung, dass man hier mit ungewöhnlichen Manövern entgegenkommender Fahrzeuge zu rechnen habe.
Es wird Sie bestimmt enttäuschen, wenn ich gestehe, dass mich Nessie, die Seeschlange, nicht sonderlich interessiert. Fabelwesen, nach denen man seit tausend Jahren
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