Feuersteins Ersatzbuch
seither dort als Gott gelte, auf der Weiterfahrt Haien zum Fräße an.
In Arabien gingen Wolpers allmählich die Ideen aus, und er versuchte es mit dem banalsten aller Klischees: Wasserlos ließ er mich in der Wüste zurück, ohne zu ahnen, dass ich die Trockenstarre beherrsche, jenen Zustand zwischen Leben und Tod, mit dem Mikroorganismen Jahrmillionen überdauern, angeblich sogar Reisen durch das All. Und in
Mexiko schließlich zwang er mich, in 3000 Meter Höhe mit einem betrunkenen, wahnsinnigen Indianer Fußball zu spielen — mit einem Felsen als Ball —, und weil ich zäh bin und davon nur Herzkrämpfe und ein Lungenödem bekam, heuerte er anschließend einen Hubschrauber, der mich mittels Rotorkraft vom Nationaldenkmal Mexikos, der Sonnenpyramide von Teotihuacan, 200 Meter in die Tiefe wirbeln sollte.
Auf Hawaii, unserem fünften Reiseziel, zeigte Wolpers plötzlich Witz und Originalität, wie ich es gar nicht von ihm erwartet hätte: Papageien sollten mich dort zu Tode hacken.
Entlang der Strandpromenade von Waikiki, dem Sand gewordenen Urlaubstraum amerikanischer Buchhalter, haben Fotografen zwischen den Hotels ihre Stative aufgebaut und bieten den Touristen Beweismaterial an, dass sie tatsächlich hier gewesen sind: Buchhalter mit Papagei und Palme, Honolulu im Hintergrund, fünf Dollar das erste Bild, drei jedes weitere.
Wie Geier auf dem Galgenbaum hocken die Vögel auf den Fotografierkästen und beschimpfen jeden, der nicht stehen bleibt. Wenn einer dann doch stehen bleibt, fangen sie richtig an zu zetern: »Jerk!« und »Ass hole!«, Wichser und Arschloch, sind noch ihre höflichsten Ausdrücke. Das ist kein Wunder, denn wie jeder, der in einem Urlaubsparadies arbeiten muss, hassen sie ihren Job. Er ist ja auch ebenso armselig wie demütigend: Statt über den Quellen des Amazonas zu flattern und das Gebrüll des Jaguars nachzuahmen, um die Nachbarschaft einzuschüchtern, müssen sie sich auf wabblige, nach ranziger Sonnencreme muffende Buchhalterschultern hocken und niedlich gucken... für einen lächerlichen Cracker, aus verschwitzten Pfoten noch dazu. Wenn das nicht Hass erzeugt? Dazu kommt, dass die
Vögel genau spüren, wie sehr Fotografen ihre Modelle verachten; sie schließen sich diesem Gefühl ihrer Arbeitgeber nicht nur an, sondern sprechen in tierischer Unschuld offen aus, was dieser denkt. Wie gern würde auch jeder Pressefotograf lieber »Wichser!« und »Arschloch!« brüllen statt »Hierher gucken!« und »Bitte freundlich!«.
Während Stephan und Erik die Kamera einrichteten, war Wolpers verschwunden. Vorher hatte er mir aufgetragen, einen Text vorzubereiten, ein kleines Stimmungsbild über Hawaiis einzigartige Ökologie. Da gibt es in der Tat einiges zu sagen, denn die Kette aus mehr als hundert Inseln entstand mitten im Ozean durch vulkanische Eruptionen buchstäblich aus dem Nichts, vor gar nicht so langer Zeit, aus der Sicht von uns Wissenschaftlern: Vor 50 Millionen Jahren begann es auf dem Meeresgrund zu brodeln, vor 25 Millionen Jahren erschien das erste Stück Land über der Wasseroberfläche, und heute brodelt es immer noch: Knapp 30 Kilometer südöstlich der größten Hawaii-Insel wächst eine neue heran. Zwar liegt sie noch tausend Meter unter dem Meeresspiegel, und bis man sie zu sehen kriegt, werden noch gut 20 000 Jahre vergehen, aber für Grundstücksspekulanten, die bekanntlich weit vorausplanen, ist das ein Klacks. Deshalb hat die Zukunftsinsel auch schon einen Namen: »Loihi«.
Weil das nächste Festland fast 5000 Kilometer entfernt ist, entwickelte sich auf den Inseln das Leben nur langsam und karg, aber doch vielfältig in seiner Kargheit. Einheimische Säugetiere gibt es nur zwei: eine Fledermausart und die einzigartige — und wie alles Einzigartige natürlich vom Aussterben bedroht — Mönchsrobbe. Das ist das alte Problem ökologischer Nischen: Sobald die Außenwelt Zugang zu ihnen gefunden hat, ist das Vorhandene schutzlos und wird verdrängt. Hawaiis Pflanzenwelt zum Beispiel. Mangels Tierfraß gab es hier weder Stacheln noch Dornen, aber weniger als fünf Prozent der Landfläche sind heute noch im ursprünglichen Zustand. Größter Zerstörer war das Hausschwein, das die Polynesier vor wenigen hundert Jahren auf die Inseln gebracht hatten und das inzwischen zu einer alles fressenden, alles vernichtenden Landplage von 100 000 Wildschweinen geworden ist.
Über 50 000 Pflanzenarten soll es einst auf Hawaii gegeben haben, 2600 sind heute noch übrig,
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