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Feuersteins Reisen

Feuersteins Reisen

Titel: Feuersteins Reisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Feuerstein
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der Silvesternacht die Gläser zum neuen Jahr anstießen, hatte Allah sich eine Strafe ausgedacht: Darin war nämlich kein Champagner, sondern Mineralwasser. Am 51. Dezember hatte hier der Fastenmonat Ramadan begonnen.
    Als Ersatz berauschten wir uns an Kahwah. Der hat aber nichts mit dem sinnesbetäubenden Kava von Vanuatu zu tun, sondern ist das arabische Wort für Kaffee.
    Wussten Sie übrigens, dass Kamele weinen? Ich wusste es nicht. Mir ist das erst in der Wüste aufgefallen, kurz vor Sonnenuntergang, als ein leichter Wind aufkam. Ich unterhielt mich mit einigen Kamelen, indem ich mich von ihnen beschnuppern ließ — das ist ihre Art der Konversation: Man bläst ihnen leicht auf die Nüstern; wenn sie einen mögen, lassen sie sich das gefallen, wenn nicht, drehen sie sich weg.
    Da merkte ich, dass sie weinten. Ich dachte zunächst, das sei wegen Wolpers, bei dessen Erscheinen alle Kreaturen in Tränen ausbrechen, sogar Käfer und Würmer. Sie weinten aber nicht wegen Wolpers, sondern wegen des Wüstensands. Kamele haben nämlich besonders aktive Tränendrüsen, die ständig die Staubkörner wegschwemmen, um den Blick klar zu halten. Je mehr Sand, desto mehr Tränen. Im Sandsturm weinen sie heftiger als meine Frau im Kino, und das will was heißen.

MEXIKO

Menschenopfer

    Alle fürchten Inge Meysel. Aufnahmeleiter kriegen nervöse Zustände, Ausstatter reichen Urlaubsanträge ein, und die Leute von der Maske wechseln den Beruf, wenn sie angekündigt ist.
    Ich bin ihr bisher dreimal begegnet, und sie war jedesmal ebenso wunderbar wie pflegeleicht. Sie lachte, als der Reißverschluss klemmte, sie war auch nach dem neunten Abbruch geduldig wie Mutter Teresa, und sie verdrehte — zum Unterschied von uns anderen — kein einziges Mal heimlich die Augen über den Arsch von Moderator. Einmal schenkte sie sogar hinterher dem Produktionsfahrer alle Blumen aus ihrer Garderobe einschließlich einer Topfpalme, zum Entsetzen des Produzenten.
    Warum also fürchtet man Inge Meysel? Monatelang fragte ich jeden, der es wissen könnte, und von allen kam dieselbe Antwort: Weil sie so fürchterlich ausrastet, wenn ihr was nicht passt. Allerdings hatte das nie jemand selber erlebt, alle kannten nur Geschichten, die andere erzählt, aber auch wieder nur von anderen gehört hatten. Daraus meine Folgerung: Ja, sie rastet aus, zwar nur ganz selten, dafür aber so ungeheuerlich, dass sich daraus Legenden bilden, ähnlich dem im Kern sicherlich wahren, aber nur schwer nachprüfbaren Nibelungenlied. Und das Ergebnis davon: Aus Angst vor der Terror-Legende hofiert man sie wie eine Königin, wirft sich auf den Boden und leckt ihre Wege frei. Kein Produzent würde es wagen, auch nur die Topfkosten von der Gage abzuziehen, wenn sie seine Palmen verschenkt.
    Schon früh beschloss ich, so zu werden wie Inge Meysel.
    Dem standen zwei Hindernisse im Weg. Erstens, ein Anfänger, aus der zweiten Reihe noch dazu, hat nicht das Recht auszurasten, so lautet das Theatergesetz; niemand würde ihn beachten und das ist tödlich, denn ein Ivan, der nicht beachtet wird, kann niemals als »der Schreckliche« in die Geschichte eingehen. Und zweitens: Wenn ich ausraste, wirkt das angeblich wie eine Herausforderung von Rumpelstilzchen an Mike Tyson, aber nicht so bedrohlich. Das hat mir mein alter Lehrer Harald Schmidt gesagt. Ziemlich oft sogar.
    Zu erstens: Dank meines rapiden körperlichen Verfalls sowie durch Grautöne, mit denen ich täglich meine Schläfen bepinsle, vertusche ich mit wachsendem Erfolg, dass ich immer noch Anfänger bin. Bleibt, zweitens, das Rumpelstilzchen, und das stimmt, da helfen auch keine Plateauschuhe. Meine Ausbrüche lösen nur VOR meinen Augen Betroffenheit aus. Hinter mir wird schamlos gekichert.
    Also habe ich mich auf Psychoterror verlegt. Die böse Stiefmutter statt Rumpelstilzchen.
    Psychoterror bedarf Vertrautheit und Nähe und funktioniert am besten im kleinen Team. Denn wenn man beim Terrorisieren den Augenkontakt auch nur mit einer einzigen Person verliert und diese hinter dem Rücken Gesichter schneidet oder eine lange Nase zieht, ist der Bann gebrochen, und der Terror kippt in den gefürchteten Rumpelstilzchen-Effekt um — außer bei Saddam Hussein, aber so weit bin ich noch nicht. Also muss man den Terror sorgfältig dosieren, streckenweise sogar ganz drauf verzichten. Nur so ist es verständlich, dass ich bei Gastauftritten oder kurzen Produktionen als Muster an Pflegeleichtigkeit gelte, ja, geradezu als Vorbild

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