Feuersturm: Roman (German Edition)
Kartenschalter.
»Was mache ich jetzt mit ihnen?«, fragte Anya. Sie hatte zweiunddreißig überlebende Molche gezählt, und sie war erleichtert, dass sie es geschafft hatten, fürchtete aber auch das Chaos, das sie in ihr Alltagsleben tragen würden.
Charon zuckte mit den Schultern, die Hände in den Taschen vergraben. »Sie sind groß und stark genug, ihren eigenen Weg zu finden.«
»Charon, sie sind Babys …«
»Schau.« Sacht drehte er sie herum und zeigte in eine bestimmte Richtung. Die Molche hüpften mitten durch die Menge davon und auf den Bahnsteig zu. Einer nach dem anderen sprang von dannen, mitgerissen von dem Geisterzug.
Tränen traten ihr in die Augen. Ihr war, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube kassiert. »Wo gehen sie hin?«
»In ein neues Heim. Ich nehme an, viele von ihnen werden sich an Artefakte binden, wie die, die Bernie gesammelt hat. Wahrscheinlich gibt es auch noch ein paar verblödete Hexen da draußen, die versuchen, Salamander zu rufen. Ein paar werden vermutlich vor Eisenhütten und Feuerwachen herumlungern – das ist eben das, was sie üblicherweise tun.«
Anya rieb sich die Augen. »Macht’s gut, Jungs.«
Der letzte Molch hielt auf dem Bahnsteig inne, drehte sich zu Anya um und tschirpte kurz, ehe auch er sich in die Dunkelheit stürzte.
Charon tätschelte ihr unbeholfen die Schulter. »Ich werde dann und wann nach ihnen sehen. Ich schwöre es.«
Anya nickte, brachte aber keinen Ton heraus. Dann wandte sie sich ab und stierte in die Geistermenge.
Etwas erregte ihr Aufmerksamkeit. Die meisten Geister konzentrierten sich ausschließlich auf ihr jeweiliges Ziel und achteten gar nicht auf ihre Umgebung, doch einer beobachtete sie. Er stand in einer geschlossenen Telefonzelle neben dem Kartenschalter, die Hände über seinem Hut gefaltet.
Sie erkannte ihn wieder. Sie hatte sein Foto in der Gerichtsmedizin gesehen.
Es war Calvin Dresser, der Computerspezialist, der als Modell für Brians neuronales Netzwerk ALANN gedient hatte.
Forschen Schritts marschierte Anya zu der Telefonzelle und griff nach der Tür, aber sie war verschlossen. Calvin, gefangen im Inneren, sah sie traurig an.
»Er ist im Limbus« , erklärte Charon. »So etwas wie das habe ich noch nie gesehen. Er kann nicht vor und nicht zurück, obwohl er voll bei Bewusstsein ist. Ein wirklich merkwürdiger Fall.«
»Wie kriege ich ihn da raus?« Anyas Atem schlug sich auf dem Glas nieder.
Charon, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, legte den Kopf schief. »Du könntest die Zelle aufbrechen.«
Anya presste ihre gepanzerten Hände zusammen und durchbrach das Glas nahe dem Türgriff. Das Glas splitterte, sprang in Stücke und rieselte aus dem Türrahmen. Der Mann im Inneren zuckte nicht einmal. Zögerlich verließ er sein gläsernes Gefängnis.
»Hallo, Anya« , sagte er.
»Hallo, Calvin.«
Er tippte sich an den Hut. »Danke, dass Sie mich befreit haben. Ich wusste, Sie würden es irgendwie schaffen.«
Calvin lächelte und ging pfeifend durch die Menge zum Bahnsteig. Anyas Herz hüpfte vor Freude, ihn frei und auf dem Weg zu seiner Bestimmung zu sehen.
»Du hast dich gut geschlagen.« Charon sah Calvin nach. »Eines Tages könntest du meinen Job übernehmen.«
Anya bekam eine Gänsehaut. »Hope hat dich ›Tod‹ genannt.« Sie konnte sich nicht von dem Gefühl lösen, dass Charon ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt hatte … über ihn oder über den Styx.
Charon wedelte herablassend mit der Hand. »Hope hatte nur Scheiße im Kopf. Die kann Hades nicht von Hestia unterscheiden.«
»Mmmm …« Anya hatte ihre Zweifel. »Ich habe noch Fragen.«
»Spar sie dir für später auf. Überschlaf sie.« Seine blauen Augen verfinsterten sich. »Stell keine Fragen, auf die du im Grunde gar keine Antwort haben willst.«
»Wirst du wieder in die Gerichtsmedizin kommen?«, fragte sie.
»Ich bin immer in der Gegend. Du kannst die Münze benutzen, die ich dir gegeben habe, um zurückzukommen.« Er beugte sich vor und küsste sie auf die Wange. Seine Lippen waren kalt, und er roch nach Schießpulver und Winter.
Anya lächelte ihm zu. Sie würde Fragen zu stellen haben. Doch nun rief sie mit einem Schnalzen Sparky zu sich und ging zum Rand des Bahnsteigs. Geister standen um sie herum. Als der donnernde Wind aufbrandete, hüpften sie mitten hinein, ganz so, als würde sich ein Grashüpfer auf einen Rasenmäher stürzen.
Anya stählte sich innerlich für die Reise und nahm Sparky auf die Arme. Sie
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