Feuersturm: Roman (German Edition)
in Rosa?«, wiederholte sie.
»Da gibt’s ’ne Frau, die kommt alle paar Wochen mit haufenweise Flaschen und Gläsern her. Die Geister verschwinden einfach in den Flaschen und Gläsern.«
Anyas Herz schlug einen Takt schneller. »Können Sie mir die Frau beschreiben?«
»Sie ist klein und hat Fleisch auf den Knochen. Anfang fünfzig, blondes Haar. Trägt immer ’nen rosa Hosenanzug und stöckelt auf albernen hohen Absätzen umher.« Der Mann warf einen Blick auf Anyas Füße. »Immerhin schafft sie es, damit nicht in die Scheiße zu treten.«
Anya blinzelte verblüfft. Das hörte sich ganz nach Hope Solomon an. »Hat Sie Ihnen je ihren Namen genannt?«
»Die tut immer, als wär sie zu fein, um mit uns zu reden, aber sie redet mit den Geistern. Schmiert ihnen Honig ums Maul, bis sie nahe genug an der Flasche sind. Und dann … wuuusch! Drin sind sie.« Der Obdachlose schürzte die Lippen und streckte eine schmutzige Hand aus. »Okay, hab Ihnen alles erzählt, was ich weiß. Jetzt sind Sie an der Reihe.«
»Danke«, sagte sie unbeholfen, griff in ihre Tasche und fischte eine Zwanzig-Dollar-Note heraus. Das war alles, was sie bei sich hatte, aber es fühlte sich erbärmlich wenig an.
Der Mann riss ihr den Geldschein aus der Hand. Seine Finger schlugen so schnell zu wie eine angreifende Kobra. Kaum hatte er das Geld, verschmolz er wieder mit den Schatten.
Anya seufzte. Vielleicht wäre es das Beste, wenn dieses Gebäude einfach abgerissen würde. Sie machte auf dem Absatz kehrt und sah sich nach weiteren Brandspuren um. Ihre Taschenlampe huschte über Graffiti, manche plump, andere kunstvoll. An etlichen Stellen entdeckte sie bildhafte Darstellungen von Flammen, und da war auch die rudimentäre Skizze eines gehörnten Teufels.
Für Leute wie diesen Obdachlosen mochte dieser Ort hier durchaus die Hölle sein.
Schatten brodelten am Rande ihres Sehfelds. Sie schienen auf außergewöhnliche Art heranzuströmen, beinahe wie Wasser. Sie setzte ihre Laternensinne ein und spürte Form und Regung von etwas Jenseitigem – von Geistern.
»Hallo?«, hauchte sie.
Doch man ignorierte sie. Anya nahm an, dass die Geister Teil eines sehr subtilen Restspuks waren, einer Finsternis, die wieder und wieder durchlaufen wurde wie eine Schallplatte mit einem Sprung. Vielleicht waren die Profile von Passagieren unauslöschbar in die Gebeine dieses mächtigen alten Gemäuers eingeprägt und strebten nun stets dem Ziel zu, das sie im Leben angesteuert hatten.
Sie trat durch eine Pfütze am Boden, in ihm spiegelte sich der kupferne Rahmen eines nicht mehr vorhandenen Oberlichts. Sie folgte dem Strom der Schatten, die durch einen ausgedehnten, gemauerten Tunnel auf den Bahnsteig zuhielten. Ihre Schritte hallten laut von den Mauern wider, und Sparky hastete direkt vor ihr her. Seine bernsteinfarbene Glut verdrängte ein wenig von der umfassenden Dunkelheit.
Der Bahnsteig selbst war verfallen. Trümmer breiteten sich bis auf die Schienen aus. Baustähle ragten wie Zähne ins Freie. Hier, ohne den Vorzug geborstener Fenster, war die Dunkelheit beinahe undurchdringlich. Sie hörte Wasser tropfen und das leise Rauschen von Zugluft, beinahe, als stünde sie auf einem noch in Betrieb befindlichen Bahnsteig in irgendeiner größeren Stadt. Doch anstelle von Menschen regten sich um sie herum die Geister, bewegten sich in Schlangen vor und zurück wie Ameisen. Sie konnte nur Silhouetten erkennen, erhaschte hier und da einen Blick auf Hüte oder Aktentaschen oder Schuhe. Sie erkannte Männer und Frauen in moderner Kleidung, einen Teenager mit einem Mobiltelefon, eine Frau mit einem Tellerrock und Söckchen. Aber die Bilder strömten in einer Kakophonie erhobener Stimmen an ihr vorüber und teilten sich vor ihr, als wäre sie ein Fels in einem Flusslauf.
Ein dumpfes Grollen erklang in der Ferne und wurde langsam lauter. Der Wind lebte auf und peitschte ihr die Haare ins Gesicht. Sparky bohrte seine Klauen in den Boden. Anya wich zurück, als das Geräusch eines Zuges durch den Tunnel donnerte, begleitet von einem Sog, der an ihr zerrte. Sie riss die Arme hoch, um ihr Gesicht vor herumfliegendem Müll und dem schauerlichen Licht, das den Tunnel badete, zu schützen.
Geräusch und Licht schwanden wieder. Anya ließ die Arme sinken und schlug die Augen auf.
Von ihr und Sparky abgesehen, war der Bahnsteig verlassen. Jeder einzelne Geist war verschwunden, fortgesaugt von dem entsetzlichen Wind.
Hexen waren häufig bereit, Dinge zu tun, vor
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