Feuersturm: Roman (German Edition)
zur Ehre gereicht hätten, und eine geisterhafte Perlenkette baumelte von ihrem Hals herab. »Hi, Baby.«
»Wie geht es Ciro?« Renee, das wusste Anya, würde ihr die Wahrheit sagen.
Die makellose Haut des Geistes legte sich über den nachgezogenen Brauen in Falten. »Er ist schwach. Schwächer, als ich es erleben möchte. Schwächer, als er zugeben würde.«
Schatten der Sorge legten sich über Anyas Gesicht. »Danke, dass du auf ihn aufpasst, Renee.«
»Ich halte ihn vom Prickelwasser fern, aber viel mehr kann ich nicht tun.« Renees Finger schoben sich in einer hilflosen Geste durch den Putz, und Anya hörte den frustrierten Klang ihrer Stimme. »Ich kann ihn nicht berühren. Ich kann nicht telefonisch um Hilfe rufen.«
Anya nickte. Manchmal waren Geister imstande, Einfluss auf Dinge der physischen Welt zu nehmen. Poltergeister waren berüchtigt dafür, Gegenstände zu zerbrechen und Menschen Schaden zuzufügen. Sie konnten es, weil sie machtvoll waren. Die meisten Geister jedoch waren machtlos. Ein paar von ihnen konnten unter Aufbietung großer Konzentration Dinge bewegen, aber es laugte sie aus. Renee war kein machtvoller Geist. In all der Zeit, in der sie schon im Devil’s Bathtub spukte, war es ihr gerade einmal gelungen, ein paar Flaschen zu zerbrechen.
Von draußen drang das eindringliche Plärren einer Hupe an ihr Ohr. Anya zuckte zusammen. Oben läutete eine Klingel, und die Fahrstuhltür öffnete sich knarrend.
Renee bedeutete Anya, still zu sein. »Geh jetzt. Wir reden später.«
Sie verschwand in der schattenhaften Decke, und Anya griff zum Türknauf. Seufzend trat sie hinaus in die Dunkelheit.
Anya saß in Brians Van und blätterte in der Fallakte. Sie hatte die Teamsitzung am früheren Abend verpasst und wusste nicht, ob sie irgendwelche Dämonen in Weihwasser ertränken oder Backe-backe-Kuchen mit Poltergeistern spielen würden.
»Kannst du mir die Kurzversion geben?«, fragte sie.
»Es geht um die ganzkörperliche Erscheinung, von der ich kürzlich gesprochen habe.« Falls Brian verärgert war, weil sie dem Fall so wenig Interesse entgegengebracht hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. Mit einer Hand hielt er das Lenkrad, während er mit der anderen an seinem iPhone herumfummelte. Multitasking am Steuer machte Anya nervös, aber sie biss sich auf die Zunge und schwieg.
»Die Erscheinung einer Frau streift durch das Haus. Sie spricht oder interagiert nicht mit den Bewohnern, weshalb die vorherrschende Theorie lautet, dass sie ein Restspuk ist. Da sie aber moderne Kleidung trägt, ist das eine knifflige Frage. Das ist was anderes als eine Lizzie Borden im Petticoat.«
»Wer wohnt in dem Haus?«
»Mami mit ihren zwei Jungs, acht und zwölf Jahre alt, und ein Großvater.«
»Wer hat die Erscheinung gesehen?«
»Angefangen hat es mit dem Großvater. Er dachte, seine Tochter wäre früher von der Arbeit zurückgekommen und hat versucht, mit dem Geist zu reden.« Brian maß Anya mit einem Seitenblick. »Seine Augen sind nicht so gut. Beide Kinder haben die Erscheinung ebenfalls gesehen. Mami arbeitet nachts, und der Geist zieht es vor, am Abend auf Wanderschaft zu gehen, also ist sie ihm noch nicht begegnet.«
»Wie lange geht das schon so?«
»Das ist das Komische an der Sache. Das Haus ist schon seit vierzig Jahren im Besitz der Familie, und nie hat’s irgendwas Übernatürliches dort gegeben. Bis vor zwei Wochen. Seitdem ist der Geist beinahe jede Nacht aufgetaucht.«
Anya nagte an ihrer Lippe. »Ich frage mich, was sich da verändert hat.«
»Es gibt in der Literatur nicht viele Hinweise, aber es ist bekannt, dass Umbauten oder andere Veränderungen in der Umgebung einen Geist ›aufwecken‹ können. Ich selbst hab so etwas noch nie erlebt, aber mindestens zwei andere Geisterjägergruppen haben Fälle dokumentiert, in denen ein Geist aktiver wurde, als ihn etwas im Haus gereizt hat. So hat eine Familie umfangreiche Umbaumaßnahmen durchgeführt und dabei die Umgebung eines verborgenen Grabes durcheinandergebracht. Und in einem anderen Fall hatte ein Geist andere Vorstellungen hinsichtlich der Innendekoration als der neue Eigentümer. Der Geist zog pinkfarbene Auslegeware und gestreifte Tapeten dem Industrieloftlook vor. Er hat ständig Handabdrücke und garstige Botschaften auf den Edelstahloberflächen hinterlassen.«
»Das setzt voraus, es war ein Geist.« Die meisten Spukerscheinungen, die nicht nur schlichte Hirngespinste waren, erwiesen sich als gutartige Geister. Aber
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