Feuersturm: Roman (German Edition)
ein, dass sie Brians Worten nicht ganz traute, aber etwas an der Geschichte mit ALANN machte ihr Sorgen. Für jemanden, der seinen Körper der Wissenschaft vermacht hatte, war sein virtueller Avatar auffallend daran interessiert, einen Ausweg zu finden. »Ja.«
Charon nickte und folgte ihr in das Gebäude. »Ich helfe dir bei der Suche.«
Anya, Sparky und Charon wanderten durch die Korridore der Gerichtsmedizin, wenn auch nur Anyas Schritte Geräusche auf dem Fliesenboden verursachten. Sie lugte in den Autopsiesaal und sah Gina auf ihrem Tritthocker stehen. Die winzige Gerichtsmedizinerin war bis zu den Ellbogen mit Blut beschmiert.
»Hey, Gina«, sagte Anya. »Haben Sie was dagegen, wenn ich einen Blick auf Ihre Totenscheine werfe?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an«, sagte Gina. »Suchen Sie was Bestimmtes?«
»Ja, einen Mann, der innerhalb der letzten paar Monate gestorben ist. Ich weiß nur, dass er Computerwissenschaftler war und vermutlich einer natürlichen Todesursache erlegen ist. Möglicherweise hat er seinen Leichnam der Universität zu Forschungszwecken überlassen.«
»In den letzten Monaten hatten wir keine Spender. Aber Sie können sich die Totenscheine gern ansehen. Wir haben sie noch nicht alle eingescannt. Die verdammten Praktikanten sind ständig verschwunden. Waschen Sie sich einfach vorher und nachher die Hände – man weiß nie, welche Bazillen sich da festgesetzt haben.«
»Alles klar.« Anya verzog das Gesicht, wusch sich aber gehorsam mit pinkfarbenem Spülmittel die Hände im Spülbecken der Gerichtsmedizinerin, ehe sie Ginas Büro betrat, das nur eine Ecke weiter lag. Das Büro sah aus wie Bernies Wohnzimmer: kniehohe Papierstapel, die mit Gummibändern zusammengehalten wurden.
»Wie zum Teufel findet die hier irgendwas wieder?«, murmelte Anya.
»Gina weiß genau, wo was ist« , entgegnete Charon. »Aber nur sie allein. Ihr gefällt es so. Versuch es hier.« Charon deutete auf einen grünen Aktenschrank, auf dem ein Stück Malerkrepp klebte, das Gina mit ihrer unordentlichen und zugleich zierlichen Handschrift mit den Worten ENTWERTETE FAHRKARTEN INS JENSEITS beschriftet hatte.
Anya öffnete den Aktenschrank und begann, die Totenscheine zu sichten. Sie waren nach Datum abgelegt, die neuesten zuerst, und reichten sechs Monate zurück. Jeder Schein war in der rechten oberen Ecke mit einer Nummer, dem Erfassungsdatum und dem Todestag versehen. Anya konzentrierte sich auf eine Zeile auf halber Höhe des Blattes, das Feld, in das der Beruf des Verstorbenen eingetragen wurde. Sie fand mehrere Dutzend Einträge für »keiner«, ein paar, die »unbekannt« lauteten und haufenweise »im Ruhestand«. Mehrere Fabrikarbeiter, ein paar Hausfrauen und ein junger Student, der bedauerlicherweise einer Alkoholvergiftung erlegen war.
Als sie die Hälfte der Totenscheine durchgesehen hatte, hielt sie inne. Sie hatte einen »technischen Informatiker« entdeckt: Calvin Dresser. Als höchster Bildungsabschluss war »Ph.D« angegeben, ein wissenschaftlicher Doktorgrad. Sie legte einen Stift in die Akte, um die Stelle zu markieren, und nahm den Totenschein heraus.
Als Dressers ausschlaggebende Todesursache war akutes kardiorespiratorisches Versagen eingetragen. Das hörte sich recht banal an. Er war dreiundsechzig geworden und hatte in Detroit gelebt. Sie überflog den unteren Teil des Blattes auf der Suche nach Informationen darüber, an wen der Leichnam übergeben worden war. Ihr rutschte das Herz in die Hose, als sie eine unleserliche Kritzelei entdeckte, in der sie Brians Handschrift erkannte. Außerdem stand dort die Adresse seines Labors in der Universität. Die Felder für Ort und Datum der Beerdigung oder Einäscherung waren leer geblieben.
»Bist du fündig geworden?« , fragte Charon. Reglos wie ein Briefbeschwerer saß er zwischen den Papierstapeln auf Ginas Schreibtisch. Sparky hockte neben ihm und beobachtete fasziniert den tickenden Sekundenzeiger der Wanduhr.
»Ich glaube schon. Erinnerst du dich an einen Calvin Dresser?« Sie wedelte mit dem Todesschein vor Charon.
Charon nickte. »Ja. Alter Mann. Für mich gab’s da nichts zu tun. Sein Geist war fort, als ich ankam.«
»Nur gut, dass Gina nicht hören kann, wie du einen Dreiundsechzigjährigen als ›alt‹ bezeichnest.«
Anya wühlte auf Ginas Schreibtisch herum, bis sie ein Telefon nebst Telefonbuch gefunden hatte. Sie suchte die Hauptrufnummer der Universität heraus und wählte.
»Können Sie mich mit dem Institut für
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