Feuertanz
rang nach Luft.
»Hast du gehört, was ich gesagt habe? Du musst dein Rad abschließen«, sagte Tessans Mutter.
Ihre Stimme klang streng und verärgert wie meistens, aber normalerweise versuchte sie ihre schlechte Laune mit freundlichen Worten zu kaschieren. Sophie stieg aus dem Auto und zog ihr Fahrrad aus dem Gebüsch. Rasch schob sie es zu dem Fahrradständer vor dem Laden, schloss es ab und rannte zurück zum Auto.
Fahr endlich – fahr endlich – fahr endlich – fahr endlich … begann es in ihr.
Erst als das Auto rollte und auf die Landstraße einbog, wagte sie es, sich zurückzulehnen und aufzuatmen.
Geschafft – geschafft – geschafft – geschafft …
Ein eisiger Wind wehte vom Meer. Die Kälte biss ihr in Ohren und Finger, als sie einige Stunden später den unbefestigten Weg zurückradelte. In der Eile hatte sie natürlich sowohl Mütze als auch Handschuhe vergessen.
Bereits von weitem erblickte sie die rotierenden Blaulichter in der Dunkelheit. Im Scheinwerferlicht bewegten sich Menschen. Ein Stück weiter hoben sich dunkle Silhouetten vor einem roten Schein ab, der die schwarze Dunkelheit erhellte.
Plötzlich wurden ihre Beine ganz kraftlos. Sie schaffte die letzten hundert Meter nicht mehr. Sie wollte nicht … wollte nicht – wollte nicht – wollte nicht – wollte nicht – wollte nicht – wollte nicht …
»Wir haben das Mädchen am Wegrand gefunden. Wahrscheinlich ist sie vom Fahrrad gefallen. Es lag neben ihr im Graben. Wir kamen von der Brandstelle, unsere Arbeit war erledigt, und da sahen wir sie plötzlich im Scheinwerferlicht sitzen. Seltsam, dass der Krankenwagen sie nicht gesehen hat.«
»Hat sie was gesagt?«
»Nein. Sie hat uns nur angestarrt.«
»Stand sie unter Schock?«
»Ganz offensichtlich. Wir haben sie ins Östliche Krankenhaus gefahren. Ihr kleiner Bruder und ihre Mutter waren bereits auf dem Weg dorthin.«
»Hast du im Auto mit ihr geredet?«
»Nein. Ich habe sie in eine Decke gewickelt und mich zu ihr auf die Rückbank gesetzt. Ich habe versucht, sie zu beruhigen … aber sie hat nichts gesagt. Das war merkwürdig.«
»Was meinst du?«
»Tja … dass sie überhaupt nichts gesagt hat. Dass sie nicht nach ihrer Mutter oder ihrem Bruder gefragt hat. Sie hat auch nicht geweint.«
»Sie starrte nur?«
»Genau.«
Kommissar Sven Andersson betrachtete seine neue Inspektorin nachdenklich. Sie gehörte erst seit einem knappen Monat zu seinem Dezernat. Er unternahm nichts, um seinen Ärger darüber zu verbergen, dass man ihm eine Frau zugeteilt hatte. Zwei kleine Kinder hatte sie außerdem, das gefiel ihm nicht. Der Kommissar seufzte laut, und seine frischgebackene Kriminalinspektorin warf ihm einen fragenden Blick zu.
Irene Huss hatte große Achtung vor ihrem neuen Chef, der den Ruf genoss, ein richtig guter Polizist, dafür aber etwas unwirsch zu sein. Es war bekannt, dass ihm oft der Kragen platzte. In den ersten Tagen war sie noch etwas nervös gewesen, hatte sich dann aber zusehends entspannt. Wenn sie ihre Arbeit nur gewissenhaft machte, würde er seine Einstellung schon noch ändern. Außerdem waren Ermittlerinnen bei der Polizei auch nichts so Seltenes mehr.
»Es ist jetzt fast drei Monate her, seit ihr dieses Mädel auf dem Weg gefunden habt, und nach wie vor starrt sie nur vor sich hin und schweigt.«
Ohne es zu merken, hatte er seine Stimme erhoben. Die Entrüstung war ihm deutlich anzuhören. Vielleicht handelte es sich ja auch eher um Frustration. Irene wusste, dass er keine Kinder hatte.
Sie zog die Augenbrauen hoch, schwieg aber, da ihr keine passende Erwiderung einfiel. Mit dem Brand in Björlanda hatte sie nur insofern zu tun gehabt, als ihr Kollege Håkan Lund und sie die erste Streife vor Ort gewesen waren. Das Wenige, was sie über die Ermittlung wusste, hatte sie aus den Zeitungen.
»Hasse und ich haben versucht, sie zum Reden zu bringen, aber es ist wie ein Kampf gegen Windmühlen! Sie sitzt einfach nur da und schweigt und schaut einen mit ihren großen braunen Augen an!«
»Kann sie überhaupt sprechen? Ich meine … sie ist doch nicht etwa stumm oder so was?«
»Nein. Sie kann sprechen. Aber offenbar war sie immer sehr verschlossen. Also schon vor dem Feuer.«
»Wie alt ist sie?«
Andersson sah sie lange an, ehe er antwortete: »Das kannst du in den Akten nachlesen. Nur zu! Du übernimmst die Verhöre von Sophie Malmborg.«
Er erhob sich und schob eine dicke Mappe über den Schreibtisch. Ratlos sah Irene erst ihren Chef und
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