Feuertanz
die Rohre. Dann kommt das Dach dran. Gleichzeitig werden Fenster und Türen erneuert. Erst dann fangen wir im Haus an.«
Irene sah, dass Angelica widersprechen wollte. Sie schluckte jedoch hinunter, was ihr auf der Zunge lag. Es bestand kein Zweifel daran, wer das Sagen hatte und alles bezahlte.
»Falls also Fragen auftauchen, die uns dazu veranlassen würden, Sophies Sachen noch einmal anzusehen, bleiben uns noch ein paar Monate«, vermutete Irene.
»Ja. Vor Weihnachten fangen wir wohl kaum hier drinnen an«, antwortete Staffan Östberg.
Angelica wirkte enttäuscht, schwieg aber immer noch. Irene war klar, dass es sie einiges an Überwindung kostete. Sie ver abschiedete sich von den beiden Turteltauben und begann ihre lebensgefährliche Wanderung über den aalglatten Plattenweg.
Von Frej war nichts zu sehen, weder im Haus noch im Garten. Als sie auf die Straße trat, erhielt sie dafür die Erklärung: Der rote Mégane war verschwunden.
»Ich gehe heute Abend wieder tanzen«, verkündete Katarina fröhlich.
Irene war nicht überrascht. Bereits als sie ihre Tochter auf der Treppe singen gehört hatte, hatte ihr nichts Gutes geschwant. Es war Samstagmorgen, und Irene war nur deswegen bereits auf, weil sie eine Menge in der Stadt zu erledigen hatte.
»Im Haus des Tanzes?«, fragte Irene.
»Ja.«
»Welcher Tanz wird denn samstags geübt?«
»Heute ist südamerikanischer Abend. Supercool!«
»Ist das auch ein Anfängerkurs?«
»Nein. Das ist ein Fest für die Schüler. Jeder darf einen Gast mitbringen, und ich bin eingeladen worden.«
Katarina lächelte. Ihre Augen funkelten. Irene fühlte sich verstimmt. Das kannte sie schon. Ihre Tochter war verliebt.
In Sachen Männer war es seit Anfang August, seit die Sache mit Johan zu Ende gegangen war, ruhig gewesen. Katarina hatte versichert, dass sie Single bleiben wolle, zumindest bis sie mit dem Gymnasium fertig sei und wahrscheinlich auch für den Rest ihres Lebens.
Jetzt war es also wieder soweit. Gisela Bagge hatte Recht, Marcelo Alves stellte eine Gefahr für alle Frauenherzen dar. Er nahm sich einfach jede, die er haben wollte. Marcelo mit seinen dunklen, funkelnden Augen und seinem sinnlichen Mund. Mit Haaren, die man einfach berühren wollte. Einem perfekten Körper, den er vollkommen beherrschte. Aber arm wie eine Kirchenmaus. Außerdem würde er bald aus seiner schmutzigen Bude geworfen werden. Marcelo war nicht gerade der Mann, von dem jede Schwiegermutter träumte. Seine Liebe war genauso flüchtig wie Äther in einer offenen Flasche. Sollte sie Katarina warnen? Nach kurzer Überlegung entschied sie sich energisch für ein Nein. Das konnte ganz falsch rauskommen. Es war sicherlich klug, erst einmal abzuwarten. Denn diese neue Verliebtheit war noch nicht einmal einen Tag alt.
»Stell dir vor, dass ich erst jetzt kapiert habe, wie megagut Tanzen ist«, sagte Katarina und gab Dickmilch und Müsli in eine Schale.
»Besser spät als nie«, meinte Irene und versuchte, aufmunternd zu lächeln.
Sie hatte das Gefühl, sich das Gesicht zu verrenken, aber Katarina schien es nicht aufzufallen. Eifrig schwenkte sie ihren Löffel in der Luft, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen: »Ich habe vor, nach Neujahr mit Capoeira anzufangen, aber ich kann jetzt schon Extrastunden bekommen … so eine Art Privatunterricht. Deswegen werde ich ab nächsten Montag auch nur noch einmal in der Woche Jiu-Jitsu trainieren. Nach Neujahr höre ich dann ganz auf.«
»Aber Katarina … wieso hörst du mit dem Jiu-Jitsu auf … nach all diesen Jahren, nach dem vielen Training«, stotterte Irene flehend.
»Eben! Nach all diesen Jahren. Ich finde es saulangweilig! Ich komme nicht weiter. Ich will irgendwie was anderes machen. Ich will tanzen!«
Sie sagte dies mit solcher Überzeugung, dass Irene einsah, dass es keinen Sinn hatte, zu widersprechen. Sie erinnerte sich daran, was Katarina einige Tage zuvor gesagt hatte: »Du warst die Weltmeisterin!« Sie wusste, dass ihre Tochter Recht hatte. Jiu-Jitsu war einfach nicht Katarinas Ding. Ihre Töchter mussten selber entscheiden, wofür sie sich interessierten.
Als es auf der Treppe polterte und auch Jenny in der Küche auftauchte, wurde Irene richtig nervös. Es war erst neun, und seit zehn Jahren hatten ihre Töchter an einem freien Samstag nicht mehr so früh am Frühstückstisch gesessen.
»Hallo, Kleine. Bist du schon wach?«, sagte sie zu ihrer Tochter.
»Hm.«
Jenny ging zum Küchentresen und schnitt ein Brötchen durch,
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