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Feuertanz

Feuertanz

Titel: Feuertanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Tursten
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einige Male tief durch, um ihre Pulsfrequenz zu senken. Dann öffnete sie die Tür.
    Der Gestank, der ihr entgegenschlug, war unbeschreiblich. Man hätte ihn in Flaschen abfüllen und als Frostschutzmittel verkaufen können. Er mischte sich mit dem Geruch eines ungewaschenen Körpers und dreckiger Kleider. Aus dem Kleiderhaufen ertönte lautes Schnarchen.
    Irene schlich vorwärts und betrachtete die schlafende Gestalt. Sie erblickte eine graue Mähne, die in einen Vollbart überging. Der Mann lag auf dem Rücken und hatte die Hände auf dem Bauch gefaltet. Er wirkte kräftig, aber das lag vermutlich eher an allen Kleidern, die er unter der Daunenjacke übereinander trug, als an Fettleibigkeit. Er hatte Kissen von Gartenmöbeln auf die Saunabank gestapelt, um weicher zu liegen.
    Irene hatte schon viele Obdachlose gesehen. In den letzten zehn Jahren hatte ihre Zahl stark zugenommen. Ein Obdachloser in Sophies Keller. Vielleicht war er an diesem Abend aber auch nur der gleichen Eingebung gefolgt wie sie und hatte sich die offene Haustür zunutze gemacht. Irene beschloss, sich mit dem Mann zu unterhalten.
    Sie richtete den Lichtstrahl an die Decke, um ihn nicht zu blenden, und schüttelte ihn vorsichtig an der Schulter. Es dauerte eine Weile, bis er anfing zu murmeln und sich zu bewegen. Noch länger dauerte es, bis er die Augen einen Spalt weit öffnete und langsam zu sich kam.
    »Verdammt, wer sind Sie?«, fauchte er wütend.
    Sein Atem erfüllte die kleine Saunakabine, und Irene versuchte, durch den Mund zu atmen.
    »Ich heiße Irene Huss. Ich habe nichts dagegen, dass Sie hier schlafen«, sagte sie beruhigend.
    »Ach nee? Na dann! Verschwinden Sie!«
    Er drehte sich auf die Seite, um weiterzuschlafen. Irene schüttelte ihn erneut und sagte: »Sie müssen mir ein paar Fragen beantworten. Sonst teile ich den Hausbesitzern mit, dass Sie hier unten hausen.«
    Mit seinen rot unterlaufenen Augen blinzelte er sie an und krächzte: »Ach wirklich?«
    »Ja. Aber wenn Sie meine Fragen beantworten, sage ich nichts«, sagte sie freundlich, aber mit Nachdruck.
    Er seufzte tief, hustete röchelnd und setzte sich auf. Er hustete erneut, und etwas löste sich tief in den Bronchien. Er räusperte sich und spuckte auf den Boden, direkt neben Irenes Schuhe. Sie versuchte, nicht weiter hinzusehen, und fragte: »Wie heißen Sie?«
    »Hasse.«
    »Und weiter?«
    »Einfach nur Hasse.«
    Seine Stimme klang sehr bestimmt, und ein aggressiver Tonfall schwang darin mit. Irene beschloss, auf den Nachnamen zu verzichten und die Befragung fortzusetzen.
    »Schlafen Sie öfter hier?«, wollte sie wissen.
    »Gelegentlich.«
    »Wie oft? Jede Nacht, einmal in der Woche oder …«
    »Was Sie alles wissen wollen! Was geht Sie das an?«
    »Sie hatten versprochen zu antworten. Sonst muss ich die Hausbesitzer informieren.«
    Seine geröteten Augen starrten sie eine Weile an. Dann nickte er und murmelte leise etwas für Irene Unverständliches, was vermutlich gut war. Sie wiederholte ihre Frage.
    »Vielleicht ein paar Mal pro Woche. Wenn es draußen kalt ist«, antwortete er mürrisch.
    »Tun Sie das schon lange?«
    Er starrte sie mit seinen Schweinsäuglein an und fragte hustend: »Was?«
    »Hier im Keller schlafen«, erwiderte Irene geduldig.
    »Seit gut einem Jahr. Seit letztem Winter. Sonst wäre ich erfroren.«
    Beim näheren Hinsehen erkannte Irene, dass er nicht so alt war, wie sie anfänglich geglaubt hatte. Wegen seiner grauen Haare und dem Bart hatte sie zuerst geschätzt, er sei ein gutes Stück über fünfzig, aber wahrscheinlich war er erst um die vierzig. Seine Hände waren mit blauen und schwarzen Knasttätowierungen übersät. Er trug ein paar alte Wanderstiefel, in die er seine löchrigen Jeans gesteckt hatte. Immerhin besaß er ordentliches Schuhwerk. Die abgetragene blaue Daunenjacke war ihm viel zu groß, aber sicherlich warm. Unter der Jacke schauten mehrere Pullover verschiedenster Farben und aus unterschiedlichem Material hervor. Im Keller war es kalt und feucht, und er musste sich warm anziehen, um nicht zu frieren.
    »Wie kommen Sie in den Keller rein?«
    »Die Tür auf der Rückseite ist nicht abgeschlossen. Das war sie noch nie.«
    Mit diesem Arrangement schien er sehr zufrieden zu sein.
    »Haben Sie in den letzten zwei Monaten irgendwann hier geschlafen?«, fuhr Irene fort.
    »Klar. Recht oft. Schließlich hat es wochenlang geregnet, und außerdem war es verdammt kalt. Ein richtiges Dreckswetter!«
    Er antwortete, ohne zu zögern.

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