Feuertaufe
du diese Ciri getroffen?«
»Zum ersten Mal? Vor drei Jahren. Während der Kämpfe um Cintra. Ich habe sie aus der Stadt gebracht. Ich hatte sie gefunden, von allen Seiten von Bränden umgeben. Ich bin durchs Feuer geritten, durch Flammen und Rauch, und hielt sie in den Armen, sie aber war auch wie eine Flamme.«
»Und?«
»Man kann eine Flamme nicht mit Händen festhalten.«
»Und wenn das in Nilfgaard nicht Ciri ist«, sagte sie nach langem Schweigen, »wer dann?« »Ich weiß nicht.«
Drakenborg, das redanische Fort, das in ein Internierungslager für Elfen und andere subversive Elemente verwandelt worden war, hatte im Laufe der drei Jahre in dieser Funktion seine eigenen düsteren Traditionen entwickelt. Eine dieser Traditionen war das Erhängen bei Tagesanbruch. Eine andere war es, die zum Tode Verurteilten vorher in einer großen Gemeinschaftszelle zusammenzusperren, aus der sie im Morgengrauen zum Galgen geführt wurden.
An Verurteilten war in der Zelle ein gutes Dutzend zusammengekommen, und jeden Morgen wurden zwei, drei, manchmal vier gehängt. Die übrigen warteten, bis sie an die Reihe kamen. Lange. Manchmal eine Woche. Die Wartenden wurden im Lager >die Lustigen Brüder< genannt. Denn in der Todeszelle herrschte immer eine fröhliche Atmosphäre. Erstens bekamen die Gefangenen zu den Mahlzeiten einen sauren und stark verwässerten Wein, der im Lagerjargon »Dijkstras Trockener« genannt wurde, denn es war kein Geheimnis, dass der Trank den Todeskandidaten auf persönlichen Befehl des Chefs der redanischen Geheimdienste serviert wurde. Zweitens wurde niemand in der Todeszelle mehr zu den Verhören in der gefürchteten unterirdischen »Wäscherei« geholt, und die Wärter durften an den Gefangenen nicht ihr Mütchen kühlen.
Auch in dieser Nacht wurde der Tradition Genüge getan. In der Zelle, die mit sechs Elfen, einem Halbelf, einem Halbling, zwei Menschen und einem Nilfgaarder belegt war, ging es lustig zu. »Dijkstras Trockener« war solidarisch in einen Blechteller gegossen worden und wurde ohne Zuhilfenahme der Hände geschlürft, denn diese Methode bot die größten Chancen, von dem dünnen Zeug wenigstens ein bisschen benommen zu werden. Nur einer von den Elfen, ein Scioa'tael aus dem zerschlagenen Kommando Iorweths, der vor kurzem in der »Wäscherei« heftig in die Mangel genommen worden war, wahrte Ruhe und Ernst, während er damit beschäftigt war, in einen Wandbalken »Freiheit oder Tod« zu ritzen. Von solchen Inschriften gab es auf den Balken etliche hundert. Die übrigen Verurteilten, ebenfalls gemäß der Tradition, sangen immer wieder die Hymne der Lustigen Brüder, ein anonymes, in Drakenborg gedichtetes Lied, dessen Worte jeder Gefangene in den Baracken lernte, wenn er nachts die aus der Todeszelle dringenden Klänge hörte und wusste, dass auch er eines Tages in dem Chor mitwirken würde.
Rhythmisch zucken sie in Krämpfen,
tanzen an dem Galgenstrick,
und so singen sie ihr Liedchen
melancholisch, doch mit Schick.
Froh und lustig sind die Brüder,
nie vergisst du den Moment,
wenn ein Fußtritt an den Schemel
dir den Lebensfaden trennt.
Der Riegel klirrte, das Schloss quietschte. Die Lustigen Brüder hielten in dem Lied inne. Wärter, die bei Tagesanbruch in die Zelle kamen, konnten nur eins bedeuten: dass der Chor gleich um ein paar Stimmen ärmer sein würde. Die Frage war, wessen.
Die Wärter kamen zu mehreren herein. Sie brachten die Fesseln mit, die dazu dienten, den zum Galgen Geführten die Hände zu binden. Einer schniefte, klemmte den Stock unter die Achsel, wickelte ein Stück Pergament auf, räusperte sich.
»Echel Tregelton!«
»Traighlethan«, berichtigte ihn ohne besonderen Nachdruck der Elf aus Iorweths Kommando. Er warf noch einen Blick auf die eingeritzte Losung und stand mit Mühe auf.
»Cosmo Baldenvegg!«
Der Halbling schluckte hörbar. Nazarian wusste, dass er unter dem Vorwurf von Diversionsakten eingekerkert worden war, die er im Auftrag des Nilfgaarder Aufklärungsdienstes unternommen haben sollte. Baldenvegg hatte seine Schuld jedoch nicht eingestanden und hartnäckig behauptet, er habe die beiden Kavalleriepferde aus eigenem Antrieb gestohlen, um sie zu Geld zu machen, und Nilfgaard habe damit nichts zu tun. Ganz offensichtlich hatte man ihm jedoch nicht geglaubt.
»Nazarian!«
Nazarian stand gehorsam auf, hielt den Wärtern die Hände zum Fesseln hin. Als alle drei hinausgeführt wurden, nahmen die Lustigen Brüder den
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