Feuertaufe
Gesang wieder auf.
Fröhlich zucken sie in Krämpfen,
tanzen an dem Galgenstrick,
weit ins Land ertönt ihr Liedchen,
und der Wind macht die Musik.
Der Morgen stieg mit Purpur und Rot herauf. Es versprach ein schöner, sonniger Tag zu werden.
Die Hymne der Lustigen Brüder, stellte Nazarian fest, täuschte. Die Erhängten konnten keinen zünftigen Galgentanz hinlegen, denn es wurde nicht an einem Galgen mit Querbalken gehängt, sondern an gewöhnlichen Pfosten, die in die Erde eingegraben waren. Und unter den Füßen wurden keine Schemel weggestoßen, sondern praktische, niedrige Bronzepodeste, die Spuren häufigen Gebrauchs trugen. Der anonyme, vor einem Jahr hingerichtete Schöpfer des Liedes hatte das freilich nicht wissen können, als er dichtete. Wie jeder Erhängte erfuhr er die Einzelheiten erst kurz vor seinem Tode. In Drakenborg wurden Hinrichtungen niemals öffentlich durchgeführt. Gerechte Strafe, nicht sadistische Rache. Auch diese Worte wurden Dijkstra zugeschrieben.
Der Elf aus Iorweths Kommando schüttelte die Hände der Wärter ab, trat unverzüglich auf das Podest und ließ sich die Schlinge um den Hals legen.
»Es le—«
Das Podest wurde unter seinen Füßen weggetreten.
Für den Halbling wurden zwei Podeste benötigt, eins über dem anderen. Der angebliche Diversant versuchte nicht, irgendwelche pathetischen Losungen zu rufen. Er zuckte energisch mit den Füßen und hing am Pfosten. Der Kopf fiel ihm leblos zur Seite.
Die Wärter ergriffen Nazarian, Nazarian aber fasste plötzlich einen Entschluss.
»Ich werde reden!«, keuchte er. »Ich werde ein Geständnis ablegen! Ich habe wichtige Informationen für Dijkstra!«
»Ein bisschen spät«, sagte zweifelnd Vascoigne, der bei der Hinrichtung anwesende Stellvertreter des Kommandanten von Drakenborg für politische Angelegenheiten. »Bei jedem zweiten von euch erwacht beim Anblick des Strickes die Phantasie!«
»Ich erfinde nichts!« Nazarian wand sich im Griff der Henker. »Ich habe Informationen!«
Knapp eine Stunde später saß Nazarian im Kerker und freute sich des Lebens, ein Bote stand neben seinem Pferd bereit und kratzte sich hingebungsvoll im Schritt, Vascoigne aber las noch einmal den für Dijkstra bestimmten Rapport.
Untertänigst melde ich Ew. Gnaden dem Herrn Grafen, dass der Verbrecher namens Nazarian, für einen Überfall auf einen königlichen Beamten zum Tode verurteilt, Folgendes gestanden hat: Auf Befehl eines gewissen Ryens war er im Juli diesen Jahres am Tage des Neumondes gemeinsam mit zwei Komplizen, dem Elfenmischling Schirrü und Hirskorn, am Mord an den Juristen Codringher und Fenn in der Stadt Dorian beteiligt. Hirskorn wurde dabei getötet, Schirrü jedoch ermordete beide Juristen und steckte ihr Haus an. Der Verbrecher Nazarian wälzt alles auf jenen Schirrü ab, bestreitet und verwahrt sich, selbst gemordet zu haben, aber gewiss nur aus Angst vor dem Strick. Was indes Ew. Gnaden den Herrn Grafen interessieren könnte, ist dieses: Vor dem an den Juristen verübten Mord haben jene Verbrecher, d. h. Nazarian, der Halbelf Schirrü und Hirskorn, einen Hexer überwacht, einen gewissen Gerald von Riva, der mit dem Juristen Codringher geheime Geschäfte gepflegt hat. In welcher Angelegenheit, weiß der Verbrecher Nazarian nicht, denn ihn hat weder oben erwähnter Ryens noch der Halbelf Schirrü ins Vertrauen gezogen. Als jedoch von besagten Geschäften dem Ryens Bericht erstattet wurde, befahl er, die Juristen zu beseitigen.
Des weiteren hat der Verbrecher Nazarian gestanden: Sein Komplize Schirrü habe aus dem Haus der Juristen Dokumente gestohlen, die Ryens in Carreras übergeben wurden, in der Herberge »Zum Gerissenen Fuchs«. Worüber Ryens und Schirrü dort gesprochen haben, ist Nazarian nicht bekannt, doch am Tage darauf begab sich das ganze Verbrechertrio nach Brugge und entführte dort am vierten Tag nach Neumond ein junges Fräulein aus einem Hause von roten Ziegeln, an dessen Tür eine Schere aus Messing angeschlagen war. Das Fräulein wurde von Ryens mit einem magischen Trank betäubt, und die Verbrecher Schirrü und Nazarian brachten sie in großer Eile in einem Wagen nach Verden, in die Festung Nastrog. Und jetzt kommt, was ich der besonderen Aufmerksamkeit von Ew. Gnaden dem Herrn Grafen empfehle: Die Verbrecher übergaben das entführte Fräulein dem Nilfgaarder Festungskommandanten mit der Versicherung, die Entführte heiße Cyryla von Cintra. Wie der Verbrecher Nazarian angab, war
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