Feuerwasser
präsentieren kann.«
»Und?«, fragte Nicole.
»Jaaa«, kam die etwas gedehnte Antwort. »Es werden wohl einige Widerstände zu überwinden sein. Schließlich gibt niemand gern seine Alp her. Mit der Viehsömmerung im Justistal wäre es natürlich zu Ende, bis vielleicht auf eine kleine Schaukäserei und einen Streichelzoo. Aber Sigriswil ist eine große Gemeinde, zu der insgesamt elf Teile gehören, von Merligen und Gunten am See bis Schwanden und Reust am Berg. Da sind schon historisch ganz unterschiedliche Vorstellungen vorhanden. Aber wir müssen wachsen«, redete er weiter, ohne sich selbst durch das Stopfen des Mundes mit Reispouletgeschnetzeltesfruchtsalat unterbrechen zu lassen, »und bei nur 4.500 Einwohnern spült so ein Fun-Park natürlich pro Kopf viel Geld in die Kasse.«
»Wie muss man sich denn diese Anlage vorstellen?«, fragte Nicole.
Abderhalden schien sie erst jetzt richtig zu bemerken und wandte sich ihr zu. »Zuerst einmal würden sämtliche Trendsportarten auf engstem Raum angeboten. Mama findet man beim Canyoning den Grönbach hinunter nach Merligen, Papa benutzt den Klettersteig auf das Niederhorn, und die Kinder vergnügen sich auf der Sommerrodelbahn. Ein Bike-Kurs, Paragliding, vielleicht eine Hängebrücke über das Tal, Tiere zum Anfassen auf der Alp, die Käserei mit Kühen zum Selbermelken, eine Verkaufsboutique mit dem, was die Bauernfamilien herstellen, einfach alles, was die Berge zu bieten haben, zentral an einem Ort.«
»Und im Winter?«
»Da sind wir noch unschlüssig wegen der mangelnden Schneesicherheit und einer gewissen Lawinengefahr.«
»Aber man muss erst investieren«, wandte Heinrich ein, »der Gewinn verbliebe dann hauptsächlich bei diesen Leuten.«
Abderhalden nickte. »Es kommt darauf an, wie viele Anteile die Gemeinde kauft. Je nachdem kann man nachher die Steuern senken. Und vom Straßenausbau profitieren auch alle. Damit ist jedem gedient.«
»Phhh … Straßen«, meckerte die Alte, »das war schon in den 30er-Jahren ein Täuschungsmanöver.«
Abderhalden blickte sie böse an.
»Keine Opposition?«, fragte Nicole.
»Klar doch. Sie hören’s ja. Bis ein Sigriswiler von etwas Neuem überzeugt ist, ist es in Bern bereits gebaut. Obwohl sie auch nicht die Schnellsten sind dort unten. Aber wenn keiner etwas wagt …«
»Du hast gut reden«, warf die Alte ein, die ihren Platz hartnäckig gegen die Kundschaft verteidigte, die zum Essen gekommen war. »Wo wollt ihr denn die zahlenden Besucher für euren Fönn-Park hernehmen? Selbst Erich von Däniken ist mit seinem Mystery Park in Interlaken gescheitert, und der hatte im Gegensatz zu euch immerhin eine Vision. Dann kommt der Simon Abderhalden aus Sigriswil und weiß alles besser.«
Der Politiker war sichtlich verstimmt, ließ sich aber nicht provozieren.
»Und der Staudamm?«, fragte Nicole.
Abderhalden erschrak. Dann sagte er: »Ihr seid aber gut informiert.«
»Sie haben schon wieder vergessen, dass wir Kurt Grünigs Versicherung vertreten und über das Vorhaben der EKW Bescheid wissen«, sagte Heinrich.
»Na ja«, wandte Abderhalden ein, »ein interessantes Projekt, aus dem die Gemeinde sicher einen guten Wasserzins herausholen könnte. Aber fremdfinanziert.«
»Du willst sagen«, höhnte die Alte, »dass du selber daran nichts verdienen würdest.«
Abderhalden lief rot an, beherrschte sich aber weiterhin.
»Eine letzte Frage«, sagte Heinrich, »sind diese beiden Projekte je einen Mord wert?«
Abderhalden schaute Nicole und Heinrich böse an, blaffte: »Damit habe ich nichts zu tun«, und in Richtung Serviertochter: »Zahlen!«
Am frühen Nachmittag spazierten Heinrich und Nicole durchs Dorf und fragten die eine oder die andere Zufallsbegegnung, was sie von der Sache hielten. Sie steuerten direkt auf die Metzgerei zu, die den gleichen Namen trug wie der Politiker.
»Jeder Zweite heißt hier Abderhalden«, mutmaßte Heinrich.
Sie hörten durch die offene Tür, wie eine Frau »Lisa!« rief, und sahen die beiden im Verkaufsraum. Lisa war wohl 16, konnte aber problemlos als 22 durchgehen, was daran lag, dass jeder angestrengt am Gesicht mit den jugendlichen Augen vorbei auf das gewaltige Dekolleté starrte. Müller wusste nicht, ob es für diese Größe noch einen Buchstaben gab. Lisa war begeistert von den Vorteilen, die ihr die Anatomie bot, die sich aber letztlich auf Äußerlichkeiten wie Zugang zu Discos und Alkohol beschränkten, unter Abwehren vieler fremder Hände. Meistens aber litt
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