Feuerwasser
geplant.«
Pascale Meyer trat näher und betrachtete das Gelände. »Genau an diesem Punkt ist mir schlecht geworden«, sagte sie dann.
Der Störfahnder sah sie erstaunt an.
»Weißt du, damals, als wir mit dem Heli die erste Leiche geholt haben.«
»Das Justistal«, stöhnte Müller auf. »Klar, das ist das Justistal. Ein voralpiner Fun-Park? Ich dachte, die wollten einen Stausee daraus machen.«
»Justistal«, sagte Oxana, »könnte stimmen. Sara war vor ein paar Tagen in Sigriswil für eine Präsentation des Projekts.«
»Bei wem?«, fragte Spring.
»Das weiß ich nicht, aber es müsste in ihrer elektronischen Agenda stehen.« Sie fuhr den iMac hoch, der im Ruhezustand geschlummert hatte, und überprüfte die Einträge der letzten Woche.
»Simon Abderhalden, Sigriswil«, sagte sie dann.
Montag, 15. September 2008
Vielleicht war es doch übertrieben, sich bereits auf der Fahrt von Bern nach Sigriswil auf die ländliche Idylle einzustimmen. Zwar hieß die CD »Zirp«, aber die Viererbande namens »Hornroh« hatte ganz anderes im Sinn als das Zirpen kleiner Vögel. Es heulten Alphörner durch den Wagen, und wahrscheinlich brummten neben den hörbaren Tönen auch solche im untersten Schwingungsbereich und richteten in den inneren Organen Verwirrung an.
Als sich Heinrich Müller über Magendrücken beschwerte, sagte Nicole Himmel: »Sie können eben nicht raus, deine Alphornmelodien, sie brauchen frische Luft, die Weite der Berge, nicht den Resonanzraum eines Kleinwagens.«
»Untere Mittelklasse«, wehrte sich Heinrich für seinen schwarzen Opel Astra.
In Thun stockte der Verkehr vom Altstadtkreisel bis zum Brockenhaus an der Bernstraße, so dauerte es etwas länger als geplant, bis sie in Gunten, etwa in der Mitte des Sees, nach links abzweigten und den Motor die steile Steigung hinauf nach Sigriswil dröhnen ließen. Früher ein abgelegenes Kuhhirtendorf, wie es im Berner Oberland viele gegeben hatte, heute eine von Bauern und ihren Parteivertretern gemanagte Großgemeinde, Touristendestination auf der Sonnenseite des Thunersees, wo die Cowboys nur noch im Wild West Saloon des Viersternehotels auftraten, mit quäkenden Stimmen nervten, wenn man Geld in die Jukebox warf.
Nicole und Heinrich waren in der Wirtschaft zur letzten Einkehr mit Simon Abderhalden verabredet, der sie gleich zum Mittagessen eingeladen hatte. Die Uhr zeigte aber erst kurz vor elf, als die beiden bereits in der Gaststube eintrafen. Die Wirtschaft war rundum erneuert, nur die Stube war erhalten geblieben oder – wahrscheinlicher – aus der historischen Bausubstanz in den Neubau eingepasst worden.
Eine alte Dame saß an ihrem Platz, wie sie das seit ewigen Zeiten tat, jedenfalls solange man sich in der Wirtschaft an sie erinnern konnte. Das Lokal hatte schon bessere Zeiten gesehen und einige Besitzerwechsel hinter sich. Aber mit jedem neuen Wirt, jeder neuen Wirtin wurde das Recht der Dame weitergereicht, jeden Morgen gratis einen Kaffee zu bekommen. Keiner wusste mehr, wieso, und auch die alte Dame hatte beinahe vergessen, dass ihr das Haus einmal gehört hatte.
Damals.
»Junger Mann«, sagte sie zu Heinrich Müller und übersah Nicole Himmel geflissentlich, »junger Mann, setzen Sie sich zu mir.«
Als ob sie all die Jahre gerade auf ihn gewartet hätte.
»Ich war einmal jung und stolz und unnahbar. Die Kerle, die sich hierher gewagt hatten, waren nicht gut genug für mich. Grob und laut die einen, unbeholfene und traurige Gestalten die anderen. Hatten gerade Geld genug für einen Kaffee. Wenigstens das haben sie bei mir gelassen.«
Sie verstummte, um nach einigen Sekunden fortzufahren.
»Diejenigen, die ich gern gehabt hätte, kamen nie. Und ich bin stets hier sitzen geblieben, am selben Platz, auf dem ich heute noch hocke, und habe auf den Traumprinzen gewartet. Unnahbar. Die Zeit ist an mir vorübergezogen. Jetzt sitze ich immer noch da, gebeugt und mit müden Gliedern, und die Zeit ist die Einzige, die mit mir redet, die mir zuhört, wenn ich von früher erzähle.«
Wieder blieb sie einen Augenblick still, dann richtete sie sich ein wenig auf, blickte Heinrich direkt in die Augen und sagte: »Passen Sie auf, dass es Ihnen nicht genauso geht.«
Nicole warf Müller einen unsicheren Blick zu, weil sie nicht wusste, ob mit diesen Worten sie gemeint war.
Erst jetzt traute sich die eine der Serviertöchter, wie die Serviceangestellten hier immer noch genannt wurden, in die Nähe. Die beiden sahen aus wie Keira Knightley
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