Feuerwasser
sie unter ihrem Körperbau, nicht nur physisch, denn sie fand auch keine gleichaltrigen Begleiter mehr. Während die Mutter ohne Ergebnis das Für und Wider über die Projekte im Justistal erwog, arbeitete Lisa schwer daran, ein paar Koteletts von einer Schweinehälfte zu trennen.
Dann betraten die Detektive die Käserei, wo der Inhaber mit dem Käsedraht ein kräftiges Stück aus einem Laib von der Oberen Zettenalp schnitt und es Müller über die Theke reichte. Auch er wollte sich nicht äußern.
Es gab dann doch noch Meinungen, und zwar von ein paar Leuten, die vor dem neuen Hotel ›Niesenblick‹ standen, als ob sie sich dort zum Nachmittagsschwatz verabredet hätten. Seltsamerweise wurden ihre Ansichten immer gleich mit den beiden Todesfällen verknüpft. Der Elektriker Beat Ryf hätte den Fun-Park bevorzugt, weil »es dort mehr zu reparieren gibt und das einheimische Gewerbe Vorrang hat, wenn die Gemeinde investiert«, und Schuld an den Toten hätten die Landschaftsschützer und ewig gestrigen Naturfreunde. Er hatte dann aber keinen Beweis für seine These.
Der Bauer Martin Gerber wollte das begreiflicherweise nicht gelten lassen, denn er würde sein Bergli im Justistal verlieren, und keiner habe ihm bisher Ersatz angeboten. »Und was machen dann all die Wanderer und Skilangläufer?« Das Argument wirkte ebenfalls etwas hilflos.
Ruth Waber, Verkäuferin im COOP, konnte mit Fun nicht viel anfangen, aber günstigerer Strom wäre ihr recht gewesen. Der Gemeindearbeiter Roland Zahnd beschwor die Überschwemmung der Höhlen des Heiligen Beatus und konnte sich auch über das gottlose Treiben in einem Vergnügungspark nicht erwärmen. »Wer weiß, was für Weibsbilder sich dann dort herumtreiben. Die verführen am End noch die Kinder.«
»Was dir kaum vergönnt sein wird«, sagte der Säger Daniel Mäder und lachte aus vollem Hals.
Am Ende schauten sie alle durchs Fenster auf die Rücken der Gäste im Fitnesscenter des Hotels, die auf Spinning-Bikes pedalten und an die Wand stierten, wo sie einen Film über die Thunerseeregion sahen, als ob sie wirklich über die Straßen der Gegend fahren würden. Schönes Wetter inbegriffen.
»Fönn«, sagte Roland Zahnd und spuckte auf den Boden.
Dienstag, 16. September 2008
Am nächsten Morgen fuhren Nicole Himmel und Heinrich Müller noch einmal dieselbe Strecke von Bern nach Sigriswil. Beim Gemeindegewölbe an der Abzweigung nach Endorf erwartete sie Martin Gerber, der Bauer, den sie gestern kennengelernt hatten und der als Einziger kritische Worte für die beiden Projekte gefunden hatte. Er wollte den beiden Detektiven aus der Stadt das Justistal zeigen.
Gerber stieg zu ihnen ins Auto. Er war kleingewachsen, gebärdete sich aber umso kribbeliger. Kurze braunblonde Haare standen ihm vom Kopf ab wie nach einem dreitägigen Föhnsturm. Aus seinen wasserblauen Augen blitzte der Schalk, ein Lächeln umspielte die Lippen im wettergegerbten Gesicht, das ein schmaler Schnurrbart zierte.
Dann fuhren sie los. Die Grönstraße zog zuerst geradeaus an schmalen Einfamilienhäusern vorbei, machte dann eine Linkskurve und schlängelte sich immer höher durch den Wald. Gegenverkehr war nur mit größter Vorsicht möglich.
Gerber schwieg lange, bevor er sagte: »Diese Straße von Sigriswil nach Beatenberg ist vom Militär gebaut worden. Sie führt an den Festungen Legi und Waldbrand vorbei, die zum Réduit-Abwehrriegel gegen Norden gehören. Riesige Anlagen, in die sogar Lastwagen fahren konnten, mehrere 100 Meter in den Berg hinein. Da, links von der Straße, seht ihr einen kleinen Bunker, der mit Infanterie- und Panzerabwehrkanonen bestückt war, um die Grönstraße zu sichern. Halt mal an.«
Eine Gedenktafel aus ausgewaschenem Marmor besagte, dass General Guisan im Spätsommer 1942 an dieser Stelle bei einem Glas Waadtländer Weißwein über die Alpenfestung referiert hatte.
»Weitblickend«, dachte Müller und schaute in 500 Meter Entfernung an die nächste Felswand.
Am Bären in Biglen, knapp 30 Kilometer Luftlinie entfernt, wies allerdings keine Gedenktafel darauf hin, dass derselbe General sich hier mit dem deutschen SS-General Schellenberg zu einer geheimen Zusammenkunft eingefunden hatte, bei der die Nazis die schweizerische Neutralität bekräftigt haben wollten. Guisan drohte mit der Zerstörung sämtlicher Transportwege im Falle eines deutschen Angriffs. Um die Ernsthaftigkeit der Aussagen zu dokumentieren, wurde alles schriftlich festgehalten.
»Den Bunker kann
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